Luirai und Sonba`i. Zwei Namen, die in den unterschiedlichen Herkunftsmythen der Atoin Meto eine besondere Rollen spielen. Sie repräsentieren ein kulturspezifisches Ideal von Männlichkeit und bieten einen Kristallisationspunkt historischen Ursprungs. Weiter zurück geht es in den historischen Überlieferungen der Atoin Meto nicht. Meine Informationen über diese beiden myth-historischen, indonesischen Herrscher in West- und Zentraltimor stammen aus den exegetischen Interviews mit Johan Christian Sapay aus Nakmofa, einem Weiler im Dorf Kiufatu, im Landkreis Südamanuban. Ich gebe Sapays Verständnis der Geschichte der Atoin Meto so wieder, wie er sie mir berichtet hat. Manches deckt sich mit den ethnographischen Quellen, die von niederländischen Reisenden, Kolonialbeamten, Missionaren und später auch von Wissenschaftlern stammen, einiges steht dazu in Widerspruch. Sapays Bericht ist die klanzentrische Version der Domäne Kuan Fatu in Südamanuban. Die vergangenen historischen Ereignisse erscheinen in seiner Version fragmentarisch und volkstümlich. Anderswo existieren mit Sicherheit andere Lesarten, denn eine allen Atoin Meto eigene Geschichte gibt es momentan noch nicht. Weitere Forschungen sind erforderlich um Kenntnislücken zu schließen und das vorhandene Wissen zu systematisieren, um eines Tages die Geschichte der Atoin Meto schreiben zu können.
Dienstag, 18. August 2020
Donnerstag, 13. August 2020
Biographie und ethnologische Begegnung
Unter Biographie verstehe ich die diachrone Beschreibung eines Lebens, die auf einen bestimmten Stimulus hin und auf ein Gegenüber produziert wird. Biographische Texte sind ein Produkt von Interaktion. Aus diesen Grund sind sie alles andere als quantifizierbare Wirklichkeit. Deshalb bestehen biographische Informationen, von wem auch immer
- aus einem Konglomerat von erinnerten, als markant gewerteten Ereignissen eines Lebenslaufs, auf die Ereignisse, auf die ein Leben kondensiert;
- aus einer Ko-Produktion der Interaktion von Erzähler und Zuhörer, wobei jeder an der Entstehung dieser bestimmten Biographie, die jeweils erzählt wird, einen Anteil hat;
- aus einer abschließende Auswertung und Interpretation der produzierten biographischen Texte durch den Zuhörer.
In seiner Philosophie geht es Hermann Diltheys um die Erfassung des ganzen Menschen, die ihn aus seiner in Laboratoriumssituation und naturwissenschaftlichem Verfahren reduzierten Existenz befreien will. Unter diesem Leitmotiv versteht er die Betrachtung des Gesamtzusammenhangs menschlichen Lebens, den andere methodische Ansätze, die nur einzelne Aspekte des menschlichen Lebens betrachten, vernachlässigen. Ein hoher, wenn auch geerechtfertigter Ansatz, den ich in den fragmentarischen biographischen Splittern der homophilen Weber, von Abraham Sakan oder Simon Petrus Banamtuan nicht leisten will. Insofern erhebe ich keinen Anspruch auf die Erhebung einer Gesamtbiographie oder auf die Re-Produktion vergangener faktischer Wirklichkeiten. Es geht mir vielmehr um eine Auseinandersetzung mit meiner subjektiven Befindlichkeit hinsichtlich bestimmter Ereignisse der Begegnung. Diese erachte ich allerdings als markant, für den Ethnologen und seinen Informanten, da sie soziale und psychische Auswirkungen auf beider Leben erlangt. Meine Versuche biographischen Schreibens im Rahmen einer ethnologischen Begegnung verstehe ich als Fragmente dessen, was Leben in Amanuban bedeuten kann.
Sonntag, 12. Juli 2020
Rituelle Begrüßung in Amanuban
Nach dem Essen wird wieder Betel herumgereicht. Seit alle wissen, dass ich Betel esse, will es auch jeder sehen. Mit klammheimlicher Freude beobachten die Männer meine unbeholfenen Versuche, mit Mühe aus der kugelrunden, glasigen, beige-weiß gemusterten Arekanuss, der hellgrünen Frucht des Betelpfeffers, lang wie eine Bohne und der Prise gelöschten Kalks, die zuletzt unter die feuchte Masse in meinem Mund gemischt wird, um einen einigermaßen kaubaren Pfriem zu bekommen. Die Frauen, die kauend im Hintergrund sitzen, spähen verstohlen zu mir herüber. Nur die Kinder stehen mit offenem Mund und verdutzten Gesichtern im Raum. Sie sind die einzigen, denen es die Etikette gestattet, ihre Gefühle offen zur Schau zu stellen. Aber niemand sagt etwas oder bringt mich in Verlegenheit. Wir alle tun so, als es ob nichts Besonderes zu sehen gibt. Ich spüre das leise Lächeln, das um ihre Augen liegt, mehr als das ich es sehe. Der Respekt, den ich ihrer Kultur zolle, spiegelt sich dagegen deutlich in ihren erstaunten Minen. Belustigt wie sie sind, schätzen sie mich sehr, weil ich diesen Brauch mit ihnen teile.
Sonntag, 5. Juli 2020
Krokodile in Timor
Ich habe lange darüber nachgedacht, in Amanuban viele Fragen gestellt und viel Unverständnis geerntet, weil ich mich für Dinge interessierte, über die man nicht gerne sprach. Jemand aus dem Westen, der fortschrittlichen, modernen Welt, jemand aus dem christlichen Abendland, das als vorbildlich gilt. Aber ich habe Hinweise gefunden und Bestätigung erhalten. Das Ergebnis ist mager, und muss durch Intuition und Schlussfolgerungen unterfüttert werden, durch manch bizarre Bemerkung aus der ethnographischen Literatur, die sich, nachgefragt, aufklärt. Nun ist es mit schriftlosen Kulturen viel zu oft so, dass bei der Rekonstruktion kultureller Überzeugungen und materieller Hinterlassenschaften wenige Spuren ausreichen müssen.
Freitag, 12. Juni 2020
Nur ein gekrümmter Haken?
Textilien, besonders, wenn es sich bei ihnen um eine Tracht handelt, machen Aussagen über kulturelle Vorstellungen und Überzeugungen, über allgemein geteilte Normen und Werte im Sinne eines Common sense. Die textile Ikonographie der Atoin Meto besitzt einen kulturellen Bezugsrahmen, denn es handelt sich bei den verwendeten Basismotiven nicht um Privatsymbole, sondern sie beziehen sich auf ihre ethnische Identität und fördern ethnisches Selbstverständnis und ethnische Selbstdarstellung Die Bedeutung ihres Motivrepertoires war einst allgemein verständlich, da es ihren Ort in den Ritualen des Lebenszyklus sowie den religiösen Überzeugungen hatte. Viel ist davon nicht übriggeblieben.
Sonntag, 31. Mai 2020
Was textile Muster wissen
Das System der symbolischen Klassifikation der Atoin Meto Amanubans wirkt sich nicht nur in ihren
kognitiven Überzeugungen, sondern auch im Bereich der
materialisierten Kultur aus. Gerade ihre Tracht, die Ritualtextilien, zeigt deutlich, wie
eine bestimmte Flächengestaltung, eine spezielle Ornamentik und Farbpräferenz dazu verwendet werden kann, eine kulturspezische Weltanschauung in materiellen Objekten sichtbar zu machen, sie für die Gemeinschaft zu visualisieren, erinnerungsfähig und damit kommunikabel zugestalten.
Die charakterisierenden Merkmale der Ornamentik der Ritualtextilien der Atoin Meto beziehen sich auf drei interdependente Aspekte der Gewebe:
Donnerstag, 30. April 2020
Was einst der Adel trug, trägt heute jeder
In ihrem kulturellen Kontext betrachtet machen
Textilien, besonders als Kleidung oder Tracht, Aussagen über Einstellungen,
Werte und Überzeugungen ihrer Träger. In relativ geschlossenen Gesellschaften,
wie die der Atoin Meto Amanubans jenseits der Provinzstädte noch immer ist,
schafft symbolische Kommunikation nicht ohne weiteres neue Aussagen. Sie werden dann von den Rezipienten nicht mehr
verstanden werden und verlieren ihre expressive Funktion. Bedeutungssyteme einer Gesellschaft, die auch ihrer Ikonographie zugrunde liegen, können nicht von einem Individuum erzählt werden.