Nach dem Essen wird wieder Betel herumgereicht. Seit alle wissen, dass ich Betel esse, will es auch jeder sehen. Mit klammheimlicher Freude beobachten die Männer meine unbeholfenen Versuche, mit Mühe aus der kugelrunden, glasigen, beige-weiß gemusterten Arekanuss, der hellgrünen Frucht des Betelpfeffers, lang wie eine Bohne und der Prise gelöschten Kalks, die zuletzt unter die feuchte Masse in meinem Mund gemischt wird, um einen einigermaßen kaubaren Pfriem zu bekommen. Die Frauen, die kauend im Hintergrund sitzen, spähen verstohlen zu mir herüber. Nur die Kinder stehen mit offenem Mund und verdutzten Gesichtern im Raum. Sie sind die einzigen, denen es die Etikette gestattet, ihre Gefühle offen zur Schau zu stellen. Aber niemand sagt etwas oder bringt mich in Verlegenheit. Wir alle tun so, als es ob nichts Besonderes zu sehen gibt. Ich spüre das leise Lächeln, das um ihre Augen liegt, mehr als das ich es sehe. Der Respekt, den ich ihrer Kultur zolle, spiegelt sich dagegen deutlich in ihren erstaunten Minen. Belustigt wie sie sind, schätzen sie mich sehr, weil ich diesen Brauch mit ihnen teile.
Drei Zutaten gehören in Amanuban zum Betelkonsum: Puah, das ist die Frucht der Arekapalme, Manus, die lange, bohnenförmige Frucht des Betelpfeffers und Ao, der gelöschte Kalk. In dieser Reihenfolge steckt man die Zutaten hintereinander in dem Mund, zuerst die Nuss, dann ein Stück des Betelpfeffers, kaut beides gut durch und wirft zuletzt mit geschicktem Effet eine Prise Kalk hinterher, die das Akaloid, auf das es jedem Drogenkonsum ankommt, aus den Früchten löst. Betel ist der Kaffee Amanubans, nur eine Spur intensiver, leicht euphorisierend und belebend.
Gegenseitig Betel anzubieten und gemeinsam zu essen, ist ein soziales Ritual, das unserem Händeschütteln zur Begrüßung entspricht. In Amanuban gibt mir niemand die Hand. Bevor ich den Mut fand, selbst Betel zu essen, standen mir die Männer, mit denen ich mich traf, oft unsicher gegenüber. Nur die Regierungsbeamten, die Geistlichen oder westlich orientierte, junge Erwachsene bildeten eine Ausnahme. Junge Erwachsene, die im städtischen Milieu sozialisiert wurden, darin besteht ein anderer Unterschied zwischen Stadt und Land, konsumieren keinen Betel mehr, da sie die rote Färbung von Lippen und Mundschleimhaut als rückständig betrachten: Natural Lipstick sagen sie, so küsst man niemanden. So wie sie es betonten, klang es verächtlich. Trotz allem besitzt der gemeinsame Konsum von Betel (puah manus) in Amanuban eine hohe Bedeutung, stellt er doch einen Marker ethnischer Identität dar. Ich war erst einige Tage in Soë, als ich auf der Polizeistation, wo ich einen indonesischen Motorradführerschein beantragen wollte, sofort auf Betel angesprochen wurde. Wieder hieß es Natural Lipstick, und die Frau am Schreibtisch lachte breit und präsentierte stolz ihre vom Betelsaft rot gefärbten Lippen und Zähne. Aber an diesen Modernismen war ich nicht interessiert. Ich suchte den authentischen Atoin Meto, und den fand ich nicht in Soë, denn es war die Landbevölkerung, die mitunter exessiv Betel aß. Also führte mich auf die Dauer kein Weg am Betelkonsum vorbei. So sehr ich mich bemüht habe. Natürlich war ich neugierg, aber mir machte nicht nur die unbekannte Wirkung Sorge, sondern auch die hygienischen Verhältnisse machten mir zu schaffen. Betelkonsum bewirkt starken Speichelfluss, blutrotes Zahnfleisch und Lippen. Jeder spuckt ungeniert auf den Boden aus, was rote Flecken hinterließ. Ich wuste zwar, dass der gemeinsame Betelkonsum ein Zeichen der Gastfreundschaft und Ehrerbietung ist, aber ich konnte mich nicht entschließen, in der Hoffnung, dass für mich als Ausländer andere Regel galten. Also lehnte ich höflich ab und erntete lächelnde Akzeptanz. Ich musste mir etwas überlegen. Anfangs habe ich, obwohl ich Nichtraucher war, Zigaretten mitgebracht, die in den Dörfern begehrt waren, da es meist an Bargeld fehlte. Es gab nichts, was man gegen Zigaretten tauschen konnte. Ich hoffte, auf diese Weise den Betelkonsum umgehen zu können. Schließlich brachte ich zu den Zigaretten auch Betel mit, für die anderen, den ich vor jedem Besuch auf dem Markt kaufte, und begann selbst wieder zu rauchen. Ich war Gast, niemand forderte etwas von mir, aber ich spürte deutlich die Erwartung, mit dem skurilen Spiel aufzuhören. Bis ich mich dann so tief in meiner eigenen Falle verfangen hatte, dass ich reif für den ersten Versuch war, der mit einem heftigen Rausch endete. Mir brach der Schweiß aus, alle Farbe wich aus meinem Gesicht und mir war übel und schwindelig. Es dauerte eine Weile, bis sich mein Kreislauf an die Droge gewöhnt hatte und ich die Dosierung richtig einschätzen konnte. Ich erinnere mich nicht mehr, wie oft ich Kalk eingeatmet habe, und mir dabei die Mundschleimhaut verätzte. Endlich wirkte Betel wie starker Kaffee, nur dass ich Tee zu trinken bekam. Anerkennung und Respekt erhält nur der, der die Sitten und Gebräuche seiner Gastkultur respektiert. Für den Ethnologen in Amanuban, der an Informationen interessiert ist, heißt das: Ohne Betelkonsum keine guten Beziehungen, ohne gute Beziehungen keine Daten. Das Verständnis bleibt aus. Oft dachte ich in diesen Wochen, dass in Amanuban alles eine Frage des Betels ist. Wie so oft erwies sich Clifford Geertz Empfehlung, in Rom wie ein Römer zu sein, als ein guter Rat. Nachdem ich mich überwunden hatte, selbst den Mund voll Betel nahm, gab es Sicherheit durch Etikette. Man reichte mir Betel, mit den rituell gemurmelten Worten: Mam Ahoit! Monate später begegnete mir immer wieder mein Ruf, selbst in den Dörfern, in denen ich vorher nie war. Es hatte sich herumgesprochen: Ich war der Deutsche, der Tuan, der Betel aß. Nun, außer mir, meiner Frau und Tochter, gab es damals in Amanuban nur noch einen anderen Europäer, einen niederländischen Gesundheitshelfer, und der verweigerte sich beharrlich jedem Konsum. Wegen des Osttimor-Kriegs war Westtimor jahrelang für Wissenschaftler und Journalisten gesperrt. Anfang der 1990er Jahre wurde es langsam wieder möglich, einzureisen. Manchmal bedarf es nicht viel, um Respekt und Anerkennung zu erwerben.
Wer wem Betel anbieten darf, und wie er angeboten wird, ist festgelegt, und an strenge Regeln gebunden. Für den Uneingeweihten ist der Weg zum gemeinsamen Betelkonsum mir Peinlichkeiten gepflastert. Männer untereinander tauschen unkompliziert die Zutaten für den Pfriem. Die meisten haben immer ihren Tuke dabei, einen kleinen Köcher der zum Standardrepertoire ihrer Aluk gehört, eine zylindrische Dose, deren zwei Teile miteinander verbunden sind. Frauen, die im Gegensatz zu den mobileren Männern, mehr an Haus und Hof gebunden sind, besitzten keinen Tuke, sondern einen geflochtenen Korb, ein oko mama, um dem Gast Betel anbieten. In ihren Tuke legen die Männer eine halbe oder ganze, geschälte oder ungeschälte, Arekanuss und ein Stück Bettelpfeffer in ihren Tuke und überreichen diesen mit ihrer rechten Hand, die sie zusätzlich mit der linken stützen. Dabei senken sie leicht ihr rechtes Knie und überreichen die Gabe mir den Worten Mam Ahoit; essen Sie, werter Herr. Natürlich wird Betel in weniger offiziellen Situationen auch im Stehen angeboten und entgegengenommen, aber selten ohne die rituellen Gesten und Worte. Die Regeln, die Männer und Frauen untereinander beachten müssen, sind vielfältiger und komplizierter, und noch lange nicht jeder Mann darf jede Frau zum Betelkonsum einladen. Die Regeln betreffen unverheiratete und verheiratete Frauen, sind doch schon die Früchte wegen ihrer Form, rund und lang, vaginal und phallisch, mir sexuellen Bedeutungen aufgeladen. Das gemeinsame Betelritual kann schnell in eine große Nähe zur Aufforderung zum Geschlechtsverkehr münden, was sich in den einzelnen Riten des Heiratsrituals spiegelt. Allerdings habe ich auch oft gesehen, wie locker die traditionellen Regeln gehandhabt werden. Aus einer kleinen geflochtenen Dose nehmen Agus, seine Mutter und ein inzwischen eingetroffener Mann ein Scheibchen Pinang und eine Betelfrucht. Sie nehmen die getrocknete Scheibe in den Mund, streuen etwas Kalk in ihre Hand, wenden die lange Betelfrucht in dem Kalk und befördern alles zusammen in den Mund. Dann wird gekaut. Mit Leidenschaft. Ungeniert spuckt Agus auf den Fußboden. Der Gast geht dazu vor die Tür. Agus Mutter kaut die ganze Zeit über. Ich habe sie kein einziges Mal ausspucken sehen. Sie muss den Saft geschluckt haben, waas vermutlich die Wirkung steigert. Ich habe viele Frauen ausspucken gesehen, daran kann es nicht liegen. Ob es an ihrem Betelpfriem liegt, dass sie, die ständig wie ein Teenager kichert, verschämt ihren Mund mit der rechten Hand verbirgt?
In Westtimor ist Betel allgegenwärtig. In Bali und Jawa verschwindet dieser pan-austronesische Brauch zunehmend. Als ich nach Kupang kam, gewann ich schnell den Eindruck, dass in der Stadt und im Umland alle kauten und rot ausspuckten. Überall auf der Straße wurden die Zutaten verkauft. Flache runde, braune Scheiben. Luftgetrocknete Pinangnüsse. Frischer Betelpfeffer, die fingerlangen, grünen Früchte oder Blätter. Dazu gelöschter Kalk. Jeder trug es mit sich. In einer kleinen Dose oder einem Beutel. Allzeit bereit. Überall auf der Straße blutrote Flecken. Der getrocknete Rest des blutroten Speichels. Es war schon gewöhnungsbedürftig.
In Amanuban ist es üblich, Gäste, die an Festen, offiziellen Zeremonien oder Ritualen der Adat teilnehmen, zu ehren, indem sie mit einer formellen Rede begrüßt und ihnen Betel aus einem Oko mama anbietet. Besonders begrüßt und empfangen zu werden bedeutet auch, in den Kreis der Teilnehmer einer formellen Situation integriert, an der Interaktion beteiligt zu werden. Die rituelle Begrüßung von Gästen, die sich bei der Landbevölkerung weiter großer Beliebtheit erfreut, heißt umgangssprachlich kaib amtekes nane, einen Korb mit Betel vor den Gast platzieren oder, formeller tok amnemat, zusammen sitzen, um Reden auszutauschen und gemeinsam Betel zu essen. Wenn in Amanuban zwei Gruppen in offiziellen Situationen zusammentreffen, ist der Austausch von Betel obligatorisch. Er wird in einem geflochtenen Körbchen (auch kabin genannt) oder weniger formell in einem Ok tuke oder Tiba, zyklindrischen, portablen Köchern, überreicht. Betel, aber auch anderes, mit der nackten Hand anzubieten, gilt in Amanuban als äußerst respektlos. Kabin und Ok tuke, die in keinem Haushalt oder in keiner Tasche fehlen, in der die Männer ihre persönlichen Habseligkeiten aufgewahren, dienen als Unterlage, um der Höflichkeit Genüge zu tun. Erst nach dem gemeinsamen Konsum von Betel wendet man sich dem Grund des Zusammentreffens zu. Niemand fällt in Amanuban mit der Tür ins Haus. Jede Zusammenkunft beginnt mit dem rituellen Austausch von Betel. Auch wenn noch so flüchtig, er fehlt nie.
Eine Betelportion (mamat), wie sie in Amanuban gegessen wird, besteht aus verschiedenen Zutaten und Paraphernalien, die der Zubereitung und dem Anbieten dienen. Drei Ingredenzien verbinden sich in einer Portion Betel miteinander: die Nuss der Arekapalme - Areca catechu - (puah), eine blassbraun marmorierte Kugel in hellgrüner Schale, die Frucht des Betelpfeffers - Piper betle - (manus), hellgrün, genoppt und lang wie eine Bohne sowie gelöschter Kalk - Calciumhydroxid - (ao kima), ein feines, weißes staubiges Pulver in der Konsistenz von Mehl. In der Nebensaison verwendet man in Amanuban ersatzweise auch die getrockneten, in Scheiben geschnittenen Nüsse zusammen mit den Blättern des Betelpfeffers. Eine Zubereitung im eigentlichen Sinne, wie in anderen südostasiatischen Kulturen, gibt es bei den Atoin Meto nicht. Nuss und Frucht werden in den Mund genommen, und während sie zerkaut werden, schüttet man etwas Kalk aus einem schmalen Zylinder, einem mit gravierten Mustern verziertem Rohr aus Bambus oder Wasserbüffelhorn in die hohle Hand, und wirft ihn schwungvoll zu der zerkauten Mischung in den Mund. Die wichtigste Regel beim Hinzufügen von Kalk lautet: Nicht einatmen! Geschmackverbessernde Gewürze nutzt man nicht, sondern gibt ich mit der bitteren Wirkung der Pflanzen zufrieden, wobei ich mir nie sicher war, ob die Bitterkeit des Betels ein bevorzugtes Geschmackserlebnis ist. Ich hätte eine Gewürzmischung (pan masala) aus Kardamom, Anis, Pfefferminze oder Kokos bevorzugt, besonders in der Trockenzeit, wenn es keine frischen Zutaten gibt. Auch ein vorgefertigter Pfriem, der die unzuverlässige Konzentration des ätzenden, gelöschten Kalks kontrollierbar macht, ist in Amanuban nicht üblich.
Der Kalk löst die aktiven Substanzen und ermöglicht die sublinguale Absorption ins Blut. Die Arekanuss enthält das Speichelfluss lösende, Zähne und Zahnfleisch schädigende Alkaloid Arecolin, das für die stimulierende Wirkung und den roten Speichel verantwortlich ist. Die Wirkstoffe werden während des Kauens direkt über die Mundschleimhaut resorbiert und passieren die Blut-Hirn-Schranke, sodass die anregende Wirkung, ähnlich dem Koffein, schnell erfolgt. Sie wirkt leicht euphrisierend, dämpft Hunger und Ermüdung.
Während der komplexen Tauschtransaktionen in den Lebenszyklusritualen der Atoin Meto werden die Gaben, die die Brautnehmer (an feto) den Brautgebern (an mone) überreichen, respektvoll als alt-ehrwürdiger Betel (puah mnasi, manu mnasi) bezeichnet. Der in Alltag sowie ritueller Situation allgegenwärtige Betel repräsentiert in diesen Situationen ein Symbol für Gaben jeder Art, gleichgültig ob Betel, Textilien, Vieh oder andere Gegenstände. Gleichzeitig wertet dieses doch sehr einfache Symbol den wahren Wert einer Gabe ab. Sie ist nichts Besonderes, nichts als eine Scheibe Puah, ein Stück Manus, das jeder besitzt und jedem angeboten wird, unabhängig von Geschlecht, Alter und sozialem Status. Demut und Selbsterniedrigung verleihen in der sozialen Interaktionen in Amanuban hohes Prestige.
Im Februar 1992 empfingen mich meine Gastgeber in Kuan Fatu, Südamanuban, auf die traditionell vorgeschriebene, respektvolle Weise zu Beginn der ersten Nacht des Historiker-Seminars, das dazu diente, Aspekte der mündlich überlieferten, regionalen der Geschichte der Bevölkerung der politischen Domäne Kuan Fatu aufzuschreiben. Am nur imaginierten Eingang (toi) unter den großen Lopo von Nai Lete, erwarteten mich J.Ch. Sapay und eine Frau, beide in prächtige Tracht gekleidet, die Frau einen geflochtenen Korb (kabin) in Händen, den ein spitz zulaufender Deckel (tobe) bedeckte. Als ich die beiden erreichte, kniete die Frau nieder, bot mir Betel an und Sapay begann zu sprechen:
Mein Herr, mein Herrscher, meine Mutter und mein Vater
Ist aufgebrochen und hat sich auf den Weg gemacht, aus einem fernen Land, von einem See
Hat das Meer überquert und überbrückt
So ist es, Himmel du Strahlender, Sonne, du Versengende
Aus dem Land Deutschland, vom See Deutschland
Ist er aufgebrochen und hat sich auf den Weg gemacht und ist bei uns angekommen
Hat die Etikette gewahrt und kein Gebot übertreten, machte sich auf den Weg zur Waringin-Spitze, zur Lete-Spitze, zur See-Mutter Indonesien, zur Meer-Mutter Indonesien
Die sich dort erhebt und dort steht
Er hat einen Herrn, hat einen Herrscher, hat eine Mutter und hat einen Vater
Der ihn nicht ablehnte, ihn nicht zurückgewies und nicht verneinte und nicht ignorierte
Mit Hilfe und Unterstützung ist er aufgebrochen und angekommen, hat sich auf den Weg gemacht und ist angekommen
Aus Kupang, der Weißen, woher die Gesetze stammen, die Regierung ihren Ursprung hat
Von Ni Ten und Ni Binoman, Ni Funan, Ni Haumeni, Ni Snae, Ni Fini Fitis, in Nepo und Haumeni, in Teulane und Bulaen
Dort hat er gebeten und nachgefragt, damit er nicht abgelehnt wird, Hilfe und Unterstützung erhält, und so hat er sich auf den Weg gemacht und ist angekommen, aufgebrochen, um anzukommen
Brauchte dazu mehr als einen Tag und eine Nacht, bestimmte den Tag und die Nacht
In der einen Nacht machte er sich auf den Weg, kam an, brach auf und traf ein
Kam bis nach Soë und Onaenat, nach Nobi Nobi und Hu`e Mnanu
Dort gibt es einen Herrn, einen Herrscher, eine Mutter und einen Vater
Unseren Herren und unseren Herrschern, unseren Mütter und unseren Vätern
In Soë und Onaenat, und auch in Nobi Nobi und Hu`e Mnanu, gab es einen Herrn und einen Herrscher
Halten sie allein und besitzen sie allein
Die drei Fahnen, die ihrigen, und die drei Machthaber
Ni At Keser, Ni Fanu, Ni Alul, Ni Manun, Ni Amnekun, Ni Utan, Ni Koe, Ni Kono, Ni Oematan, Ni Babu, Ni Bife, Ni Bahan, Ni Tainbenan, Ni Mela, Ni Manbait in Molo und Miomafo, in Pai Neno und Oenam
Halten sie allein und bewahren sie allein in ihren geschlossenen Händen
Zusammen mit der alten Mutter, dem alten Vater, Kena, Kaebuna, Ita Labuta, Tfuna, Tampani, Tefa, Tualaka, Ni Seo, Ni Manas, Ni Uki, Ni Abnao, Ni Lil, Ni Benu, Ni Banlopo, Ni Manu, Ni Leokai, Ni Tefa, Ni Tualaka in Kibi und Nun Kolo, in Otu und Buanao
Himmel, du Strahlender, Sonne, du Versengende
Ni Koli, Ni Toli, Ni Amu, Ni Nope, Ni Nuban, Ni Toi in Klaban und Tain Lasi, in Maunu und Niki-Niki
Zu ihnen macht er sich auf den Weg, bricht auf und kommt an
Zieht umher und erscheint bei uns, ruft uns
In Mae und Nai Lete, in Kua Muke und Bi Taek
Ruft uns hierher gestern Nacht
Stellen es (das Kabin) dorthin und äußern unsere Gefühle und unsere Gedanken
Wir, Ton und Finit, Babis und Sapai
Mit ihrem Herrn und ihrem Herrscher, ihrer Mutter und ihrem Vater
Auf Anordnung ihres Herrn und ihres Herrschers, ihrer Mutter und ihres Vaters
Einig mit ihrem Herr und ihrem Herrscher
Äußern sie ihren Willen und ihre Gedanken, äußern ihre Gefühle und ihre Vorstellungen
Und sagen: Mögen wir ihn der Ordnung entsprechend empfangen und ihm ordentlich die Hand reichen
Die Satteldecke und Beißstange sorgfältig aufhängen und ordentlich hochhängen
Zusammensitzen und uns besinnen
Unseren Willen und unsere Gedanken äußern, unsere Gefühle und unser Empfinden mitteilen
Denn wir sind bekannt in Klaban und Tain Lasi, in Maunu und Niki Niki
Herrscher sind wir, der Reihe nach und hintereinander, wie Sand am Meer, am Ort der buntgescheckten Affen und der Wildschweine Ort
Man nennt uns die Nae Lamu, ihre Herren, ihre Herrscher, die Meo Lamu, ihre Herren und ihre Herrscher
Die rote Fahne und der Hengst, der rote, für ihre Herren, für ihre Herrscher
Im Land Nai Lete, am See Ni Let
In Mae und Nai Lete, in Kua Muke und Bi Taek
Sind wir es, die das Land ausdehnen und es ausweiten
Für Mae und Nai Lete, für Kua Muke und Bi Taek weiten wir es aus und dehnen es aus
Bis nach Sunam und Niuf Usi, nach Liulai und Oe Buik weiten wir aus und dehnen es aus
Bis nach Bena und Ul Mone, nach Luluf und Batnunu haben wir es ausgeweitet und ausgedehnt
Das Land Nenu und Banam, Bunu und Bi Teno
Zusammengedrängt und eng war es einst, nun ist es ausgedehnt und groß, für unseren Herrn und unseren Herrscher, unsere Mutter und unseren Vater
Für die Mutter des Sees Banam, für die Mutter des Meers Banam
Für die Waringin-Spitze Banam, für die Lete-Spitze Banam
Sodass er sein Schweinefleisch essen und seinen Reis verspeisen kann
Dort erhebt er sich und man kann ihn dort sehen
Im Weiler Loli und im Weiler Opa, unseren Herrn und unseren Herrscher
Dort Bewegt er seinen Körper und tanzt
Wir weiten es für ihn aus, wir dehnen es aus für ihn
Nenu und Banam, Bunu und Bi Teno
Himmel, du Strahlender, Sonne, du Versengende
So reicht es bis an die untergehende Sonne, an den Sonnenuntergang, wirklich ausgedehnt und ausgeweitet
Bis an die aufgehende Sonne, den Sonnenaufgang, wirklich ausgedehnt und ausgeweitet
Für Ni Koli, Ni Toli, Ni Amu, Ni Nope
In Klaban und Tain Lasi, in Maunu und Niki Niki
Das Land und der See, das Wasser und der Stein, ausgedehnt und ausgeweitet und vergrößert, sodass er bis heute sein Schweinefleisch und seinen Reis essen kann
Unser Herr, unser Herrscher, unsere Mutter und unser Vater
Zusammen mit seiner Frau und seiner Kleinen erscheint er bei uns und ruft uns in Mae und Nai Lete, in Kua Muke und Bi Taek
Er zieht uns nicht in den Schmutz, damit unsere Gedanken nicht Schaden nehmen und unsere Gefühle nicht verletzt werden
Wendet sich nicht ab, damit unsere Gedanken nicht Schaden nehmen und unsere Gefühle nicht verletzt werden
Ton und Finit, Babis und Sapai äußern ihren Willen und ihre Gedanken, öffnen ihre Gefühle und ihr Empfinden
Denn sie haben einen Herrn und einen Herrscher, eine Mutter und einen Vater
Und möchten ihn ordentlich aufnehmen und ihn empfangen wie es der Brauch verlangt
Um zusammenzusitzen in Mae und Nai Lete, in Kua Muke und Bi Taek
Am Nabel und im Mittelpunkt, damit es einem Anfang und ein Ende gibt, eine Ausgangspunkt und einen Ursprung
Das es ein Ziel gibt und einen Weg, die Rede gehalten wird und die Worte allmählich gesprochen werden
Damit Eid und Gesetz bewahrt werden, Anfang und Ende, Fortsetzung und Ausgang, erläutert werden, deshalb wird die Rede gehalten und die Worte nacheinander gesprochen
Denn wir haben einen Herr und einen Herrscher, eine Mutter und einen Vater
Nämlich unseren Herrn und unseren Herrscher, unsere Mutter und unseren Vater
Aus dem fernen Land und vom fernen See
Aus dem Land Deutschland und vom See Deutschland
Mit seiner Frau und seiner Jüngsten, seiner Kleinen
Sein Herz versteht es und sein Bauch fühlt es
Er erscheint bei uns und ruft uns, meine Herren und meine Herrscher, meine Mütter und meine Väter
Ihr Meo Lamu, ihr Nai Lamu
Lügt nicht und sprecht auch nicht ungenau, beschädigt nichts
Wir besitzen einen Herren und einen Herrscher, eine Mütter und einen Vater
Himmel, du Strahlender, Sonne, du Versengende
Ich empfange ihn, dem Brauch entsprechend, und reiche ihm die Hand, wie es sich gehört
Dort steht es (das Kabin), dort wurde es hingestellt, dort hat es seinen Anfang und sein Ende, seine Fortsetzung und seinen Ausgang
Dort steht es, dort liegt es, und hat ein eigenes Ziel, einen eigenen Weg, einen eigenen Anfang und ein eigenes Ende
Empfangen wir sein Sattel und sein Zaumzeug und hängen es sorgfältig auf, hängen es hoch und zwar gut
Damit das Herz es versteht und der Bauch es begreift
So verschränke ich meine Arme und kreuze meine Beine
Bekomme einen Herrn und erhalte einen Herrscher
Meinen Herrn und meinen Herrscher, meine Mutter und meinen Vater
Hört meine Rede und vernehmt meine Worte
Nur eine Fantasie
Der alte Mann saß im Schatten eines der großen Waringinbäume, die die Quelle Oe Uis Neno im äußersten Osten von Amanuban verbergen. Seinen Rücken lehnt er an die knorrige Rinde des Baumes und seine rechte Hand streicht wie abwesend über seinen schütteren Bart. Seine mit farbigen Perlenschnüren und Silbermünzen reich verzierte Aluk hängt an einer der Luftwurzeln. Vor ihm auf dem Boden liegen zerschnittene, hellgrüne Schalen junger Pinangnüsse verstreut. Die Erde zu seinen Füssen, an denen getrockneter Schlamm klebt, ist blutrot gefärbt vom ausgespuckten Betelsaft. Trotz seines Alters ist der Mann muskulös. Seine braunen Augen sprühen vor Vitalität und ungebrochener Kraft. Das Gesicht des Mannes beherrschen wache, zwingende Augen, deren samtiger Tiefe niemand sich leicht entziehen kann. Wie von Pflanzenbewuchs beschattete Höhlen ruhen sie hinter buschigen Brauen verborgen. Der Mann verbirgt eine lautlose Anspannung hinter der Maske entspannter Gelassenheit. Sein bartloses Gesicht ist zerfurcht von einem Netzwerk hunderter kleiner und großer Falten. Die tiefblaue Tätowierung am Kinn ist kaum noch zu erkennen, denn sie wird von den Furchen, die das Alter in sein Gesicht gezeichnet hat, verzerrt. Durch sein gekräuseltes Haar, das er über dem Hinterhaupt zu einem Knoten zusammengebunden hat, ziehen graue Strähnen. Sein nackter Oberkörper schillert dunkelbraun, von Wind und Sonne gegerbt. Am oberen Rand seines rechten Schulterblatts verläuft eine schlecht verheilte Narbe und seine Unterarme überzieht ein Netz filigran tätowierter, ineinander übergehender Rauten. Schlammspritzer vom letzten Regen sprenkelten die Kleidung des Alten. An einigen Stellen ist sie eingerissen, sodass die Muster des großen Hüfttuchs, das seinen Körper von den Hüften hinab bis auf die Waden bedeckt, kaum noch als schlängelndes Rautenband zu erkennen ist, deren verschlungene Widerhaken sich fast berühren. Trotz seines schmutzigen und abgerissenen Aussehens umgibt den Alten eine Aura von Ehrerbietung und Autorität, ein Charisma, dem seine Mitmenschen den Respekt des Alters zollen. Der alte Mann sitzt nun schon seit Stunden im kühlen Schatten des Baumes. Als seine Beine vom langen Gehen schmerzten und sein Mund der Worte voll war, hörte er auf, weiterzugehen und setzte sich unter den Nunubaum. Ein kleines Mädchen aus einem der Häuser brachte ihm ein paar gekochte Bananen und ein Glas heißes Wasser, gesprochen hat er aber nicht mit ihr. Jetzt wartet er, wartet darauf, dass man zu ihm kommt, sich um zu versammeln, damit er erzählen kann.
Es ist Vollmond. Die Dämmerung ist kurz und gerade geht der Mond über Oe Uis Neno auf. Nur wenig von seinem silbernen Licht fließt durch die dichten Zweige und die bis auf den Boden hängenden Luftwurzeln des Nunu. Aus der Nähe lockt der traurige Ruf einer Eule durch das zunehmende Dunkel. Den lautlosen Flug des Vogels, der wenig später über ihm im Baum landet, spürt der Mann mehr durch den Luftzug der Schwingen, als dass er ihn im Zwielicht zwischen den herabfallenden Wurzeln sieht. Er kann die Eule über sich nicht sehen, aber ihre Anwesenheit nimmt er deutlich wahr. Warum kommt die Eule zu ihn? Ein gutes Vorzeichen ist das sicher nicht.
Eng drängt sich sein Publikum im Halbkreis um den Alten. Der sitzt ruhig und konzentriert, fast abwesend, mitten unter ihnen. Er fühlt, wie ihm ihre Erwartungen entgegenströmen, während sie noch schwatzen, lachen und Betel herumreichen. Es hat sich in den umliegenden Weilern schnell herumgesprochen, dass ein Erzähler an der Quelle angekommen ist. Außer dem Mädchen, das ihn bewirtete, hat der Alte nur noch ein paar andere Kinder mit ihren älteren Geschwistern und ein paar herumstreunende Hunde gesehen. Die Erwachsenen hatten tagsüber wenig Zeit, da es jetzt viel Arbeit in den Gärten, im Wald und im Hof gibt. Die Regenzeit hatte begonnen. Die Saat musste schnell in die Erde, um jeden Tropfen Regen zu nutzen. Seit sie Christen geworden sind, haben sie die alten Rituale verworfen, mit denen der Bewahrer der Reiskörner die dunklen Regenwolken herbeigerufen hatte. In Amanuban ist die Landwirtschaft ein Glücksspiel mit dem Monsun, der unregelmäßig und unzuverlässig kommt. Regen gibt es meist viel zu wenig. Oft regnet es nach den ersten schweren Regenfällen wochenlang nicht mehr. Der Mais und die Bohnen müssen schnell in die Mulden, die mit dem Grabstock in die Erde gedrückt werden. Doch sie wissen, dass es erst Nacht werden muss, bevor der Alte mit seiner Erzählung beginnt. So ist es in Amanuban seit den Tagen der Mütter und Väter Brauch. Keine Neugier treibt die Menschen an, ihren täglichen Rhythmus zu unterbrechen, und vor der Zeit zur Quelle aufzubrechen. Sie wissen genau, dass der Alte die Tagesstunden nutzt, um sich auf die Nacht vorzubereiten.
Endlich ist es soweit. Der alte Mann beginnt eine Erzählung. Sein Körper entspannt sich. Nachdem er mit einer ruckartigen Bewegung seiner linken Hand noch etwas Kalk zu dem Betelpfriem in seinen Mund geworfen hat, verschränkt er die Arme vor der Brust. Seine Augen blicken nach innen und sein Gesicht reflektiert eine Ruhe, die ansteckend wirkt, als er die ersten Worte spricht. Ein Hund bellt, in der Ferne knatterte ein Moped und ein Kind weint. Sonst ist es still. Der Wind raschelt schüchtern in den Blättern der Nunubäume. Wie so manche Nacht umringen Kinder und Jugendliche den weitgereisten Seo mnasi und lauschen gespannt seiner Erzählung. Ihre Eltern, Großeltern und Onkel und Tanten sitzen auf ausgebreiteten, aus Lontarpalmblättern geflochtenen Matten. Sie rauchen oder essen Betel, den sie in gemusterten Körbchen herumreichen. Die Kenntnisse, die Seo über die Geschichte seines Volks bewahrt, macht ihn weit über Eno Nunuh hinaus bekannt, so der Weiler, in dem seine Wohnung steht. Sein Rat in allen Dingen, die die Adat betreffen, ist nicht nur im Palast des Königs von Amanuban in Niki Niki sehr begehrt. Wie schon oft erzählt Seo auch heute von den Wanderungen der Klangruppen, von den verwandtschaftlichen Beziehungen, den Allianzen, von den Fehden und Kopfjagden, den Viehdiebstählen, von stolzen Kriegern und ihren Heldentaten. Mit großen Augen, in denen sich Erstaunen und die leise Furcht vor dem Unbegreifbaren spiegelt, hängen die Kinder an den Lippen des Erzählers. Die halb geöffneten Münder der etwas Älteren sprechen deutlich von ihrer inneren Bewegung. Die gestenreichen, mit bewegter Mimik vorgetragenen Erzählungen Seo mnasis, die er in gebundener Rede aus dem Stegreif vorträgt, sind dramatische Lehrstücke, Parabeln von epischer Kraft, die die Geschichte seines Volkes lebendig unter dem Nunubaum zum Leben erwecken. Die Worte sprudeln im Stakkato aus seinem Mund, und verbinden sich zu einem ununterbrochenen Strom von Versen. Seine Komposition deutet an, nennt Namen von Orten, von Bergen, Quellen, Bäumen, von bedeutenden Menschen und ihrem Leben. Sie sind so minimalistisch, dass seine Zuhörer intime Kenntnisse benötigen, um zu verstehen, wovon er spricht. Die noch unwissenden Kinder reißt die mysteriöse Kraft der Rede und der Rausch der Melodie mit sich fort. Hinter den Alten haben sich inzwischen Männer aus dem Publikum aufgestellt, ein Chor, der jeden seiner Verse mit dem letzten Wort schließt. Seo Redefluss ist so schnell geworden, dass ihnen keine Zeit zum Nachdenken bleibt. Nur wer den Inhalt der Rede kennt, beherrscht den Verschluss, der die Wahrheit der Rede bezeugt. Dem Neugierigen antwortet er geheimnisvoll: „Wem nützen Worte, Worte, die sich zu keiner Erzählung verbinden.“ Seo mnasi kennt viele Worte, die für Uneingeweihte nicht mehr als Worte sind, deren Bedeutung intuitiv erfasst werden muss. Für Männer wie den alten Seo sind Worte mit Kraft geladen. Er haucht ihnen Leben ein, indem er sie ausspricht, sie in Bewegung setzt und mit ihnen die Welt für einen Moment nach seinem Willen gestaltet. Wer solche Worte besitzt, sie richtig aneinanderzureihen und auszusprechen versteht, hat tief in die Vergangenheit geschaut. Von dieser Art sind die Erzählungen des Alten. Sie besitzen die geheimnisvolle Macht, die seine Zuhörer bannt. Es ist nicht nur die Art, in der Seo seine Erzählungen aufführt, es sind vor allen Dingen die Worte, die er auswählt, und die Form, in die er sie kleidet, die charakteristische Weise, in der nur er diese Worte zu Erzählungen verbinden kann.
Inzwischen ist der volle Mond hinter den Bergen aufgegangen. Die Kinder schlafen und die Augen der Erwachsenen glänzen, ihre Gesichter sind von verhaltener, innerer Spannung gezeichnet. Manche gähnen müde hinter vorgehaltener Hand. Der Rauch von Zigaretten kräuselt sich im warmen Wind, das Licht der Karbitlampen flimmert dünn. Noch einen Moment schweigt Seo mnasi. Er nimmt ein weiteres Mal von dem Betel, der zu seinen Füßen liegt, versinkt für einen kurz in Meditation. Dann beginnt er zu erzählen.
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