Luirai und Sonba`i. Zwei Namen, die in den unterschiedlichen Herkunftsmythen der Atoin Meto eine besondere Rollen spielen. Sie repräsentieren ein kulturspezifisches Ideal von Männlichkeit und bieten einen Kristallisationspunkt historischen Ursprungs. Weiter zurück geht es in den historischen Überlieferungen der Atoin Meto nicht. Meine Informationen über diese beiden myth-historischen, indonesischen Herrscher in West- und Zentraltimor stammen aus den exegetischen Interviews mit Johan Christian Sapay aus Nakmofa, einem Weiler im Dorf Kiufatu, im Landkreis Südamanuban. Ich gebe Sapays Verständnis der Geschichte der Atoin Meto so wieder, wie er sie mir berichtet hat. Manches deckt sich mit den ethnographischen Quellen, die von niederländischen Reisenden, Kolonialbeamten, Missionaren und später auch von Wissenschaftlern stammen, einiges steht dazu in Widerspruch. Sapays Bericht ist die klanzentrische Version der Domäne Kuan Fatu in Südamanuban. Die vergangenen historischen Ereignisse erscheinen in seiner Version fragmentarisch und volkstümlich. Anderswo existieren mit Sicherheit andere Lesarten, denn eine allen Atoin Meto eigene Geschichte gibt es momentan noch nicht. Weitere Forschungen sind erforderlich um Kenntnislücken zu schließen und das vorhandene Wissen zu systematisieren, um eines Tages die Geschichte der Atoin Meto schreiben zu können.
Der Herrscher der vorindonesischen Tetun in Wehale, Zentraltimor, war der Liurai. Die Atoin Meto wissen, dass die östlich von ihnen lebenden Tetun kulturelle Verwandte sind. Sie nennen sie Belu, das heißt Freund, und sie unterhielten rituelle und politische Konföderationen untereinander in der Vergangenheit. Liurai ist ein Titel, kein Name. Das Gebiet des ehemaligen Wehale liegt heute in der Grenzregion zwischen Indonesien und Osttimor.
Nafi Rasi, der Gründerheld Amarasis, stammt aus der Dynastie des Liurai. Einst zerbrach Nafi eine wertvolle Vase. Seine Geschwister verfluchten ihn und er musste aus Wehale fliehen. Mit seinen Gefolgsleuten wandte sich Nafi zuerst nach Norden, nach Beboki-Insana, in eine bergige Region, nördlich von Wehale. Die beiden Territorien Insana und Beboki sind heute Teil des indonesischen Westtimors. Dort trieb Nafi Handel mit den legendären Kase Metan, den Schwarzen Portugiesen, und erhielt von ihnen Feuerwaffen. Diese waren mit dem lokalen Adel von Molo und Miomafo verschwägert und Untertanen des Sonba`i, Herrscher über eine konkurrierende, rituelle Konförderation.
Nafi Rasi erreichte mit den Seinen schließlich die Südwestküste Timors, das rezente Territorium Amarasi, Vater Rasi, dem er seinen Namen gab. Er zog entlang der Küste so weit nach Westen, bis das Land endete. Dorthin, wo heute Kupang liegt. Migrationszüge, wie der von Ama Rasi, prägen die regionalen, klanzentirschen historischen Überlieferungen der Namengruppen der Atoin Meto. Sie sind Thema ihrer mündlichen Überlieferungen.
Der Herrscher in Molo und Miomafo war der Sonba`i. Er gilt der jüngere Bruder des Liurai, einst ausgezogen, neues und unbesiedeltes Land im Westen zu erobern.
Wie Nafi Rasi sind Liurai und Sonba`i legendäre Herrschergestalten, mit denen Territorien und politische Machtsphären assoziiert werden. Kleine, absolut regierte feudale Königreiche. Niemand weiß genau, wo die Grenze zwischen Mythos, Legende oder historischer Realität verläuft. Die Verwandtschaft von Liurai und Sonba`i ist nicht biologisch. Bei ihr handelt es sich um eine soziale beziehungsweise politische Klassifikation, die das Verwandtschaftssystem der Atoin Meto imitiert. Sie sind für einander älterer und jüngerer Bruder. Aus Gründen klassifikatorischer Verwandtschaft ist der Liurai der ältere und mächtigere der beiden Brüder, und der Sonba`i idealiter von ihm politisch abhängig. Beide Brüder repräsentieren bedeutende militärische Funktionsträger, die das Reich und die Bevölkerung beschützen, die sie ernährt.
In Westtimor weiß man von dieser mythischen Beziehung und Herkunft auch heute noch überall. In vielen verschiedenen Versionen wird sie erzählt, je nach dem, wem man gerade zuhört.
Wehale! Ein rituelle Konförderation der Tetun in Zentraltimor, die weit in die Atoin Meto-Territorien hineinreichte. Jahrhunderte dominierte sie die politischen Verhältnisse. Der Liurai war der Herrscher: Ein Titel, kein Name. Tief in der myth-historischen Geschichte Westtimors gründete der erste Liurai das Reich Wehale. Nach ihm hießen alle Herrscher Liurai. Er verkörperte Kraft, Potenz und militärischen Schutz für die Bevölkerung. Liurai wuchs aus der Erde heraus. Aus ihr soll er hervorgeragt haben wie ein Phallus.
Maromak Oan heißt das weiblich klassifizierte Pendant des Liurai. Eine Herrscherpersönlichkeit nach dem Vorbild hinduistischer Gott-Könige, die am Nabel des Reiches die Rituale zelebrierte, die Gesundheit und Wohlstand, die wohltuende Kühle des Friedens sicherten. Maromak Oan war ein Repräsentant der Erde und besaß deren Rituale. Magisch sicherte er die Fruchtbarkeit des Bodens und der Frauen der Gemeinschaft. Er repräsentierte eine politisch inaktive Macht und lebte im Inneren des Reichs, geschützt von einem aktiven, militärischen Apparat, den der Liurai repräsentierte. Maromak Oan war das Göttliche Kind, das die Atoin Meto Neno in Anan nennen. Das Kind des Himmels. Der Name verrät die Herkunft. Maromak Oan und Neno Ana stiegen vom Himmel herab auf die Erde Timor, die früher ein Krokodil war.
Maromak Oan und Neno Ana. Über die Jahrhunderte hinweg vermischte sich in diesen Namen die Vorstellung eines Gottes mit dem Ideal des Herrschers.
Die Mythologie berichtet davon, dass Maromak Oan drei Söhne gebar: Liurai, aus der Erde geboren, Sonba’i, der glänzend vom Himmel stieg, sowie den namenlosen Urahn des Herrschers von Liuksaen. Liurai gründete Wewiku-Wehale im Zentrum Timors. Laran war einst ein spirituelles Zentrum, der Mittelpunkt einer rituellen Konförderation, eines Bündnissystems, dass durch Rituale, Heirat und Handel gesichert war. Die den Atoin Meto benachbarten Ethnien der Tetun, Bunak und Kemak bildeten ein politisches System, das Jahrhunderte überdauerte. Den Portugiesen und Niederländern gelang es nie, das Zentrum der Insel zu kontrollieren. Sie trieben lediglich Handel mit Wehale, des Sandelholzes und des weißen Beinenwachses wegen.
Antonio Pigafetta kam 1522 mit dem letzten Schiff der Weltumseglung des Fernão de Magalhães nach Westtimor. Mit seiner Ankunft vollzog sich der erste Kulturkontakt mit Europa. In seinem Bericht nennt er vier Brüderkönige in Belu, dem rituellen und politischen Zentrum Westtimors. Pigafetta war der Landessprache nicht mächtig. Er orientierte sich am Klang der Sprache und nannte die Namen dieser Könige in seinem Bericht Oibich, Lichisana, Suai und Cabanaza. Oibich herrschte in Wewiku-Wehale und war der älteste der vier Brüder. Suai ist Hauptstadt des modernen Distrikts Cova Lima in Timor Leste. Kamenasa, Cabanaza oder Camenaça und Suai bildeten ursprünglich ein Doppelreich. Lichisana entspricht Liquiçá.
1640 erreichten auch die Niederländer Timor, und schon 1642 geht Wehale in den Wirren der politischen Teilung der Insel zwischen Portugal und den Niederlanden unter. Die von den Kolonialmächten willkürlich gezogene Grenze verlief mitten durch das rezente Belu und zerriss Wehale. Aber erst 1906 ging Wehale vollständig in der niederländischen Kolonialstruktur auf. Der Liurai wurde zum Fetor degradiert, zu einem subalternen Beamten der oktroyierten politischen Organisation. Nai Bot, der letzte große Fürst von Wehale, starb 1924 und ganz Timor trauerte.
Der Sonba`i beherrschte das zentrale Bergland im Westen der Insel. Dort, im modernen Molo und Miomafo, lag sein politisch-rituelles Zentrum, von wo er seinen Einfluss bis nach Kupang ausdehnte. Während der Liurai Zentraltimor und die Tetun-Territorien
kontrollierte, herrschte der Sonba`i über die Territorien der Atoin Meto.
In vorkolonialer und vorindonesischer Zeit wanderte der jüngere Bruder des Liurai von Wehale nach Westen. Dort traf er Kune, heiratete dessen Tochter und schuf ein rituell-politisches Bündnissystem nach dem Vorbild der Konförderation Wewiku-Wehale. Wie sein älterer Bruder war er ein politische Führer und militärischer Machthaber. Die portugiesischen Besatzer gaben dem Reich des Sonba`i den Namen Servião. 1563 nannte ein Bericht des Cerviaguo Servião einen wichtigen Umschlagsplatz für Sandelholz. 1613 bekam das Königreich Servião einen Platz auf einer portugiesischen Karte. 1642 zerstörte der Portugiese Francisco Fernandes mit seiner marodierenden Truppe Servião.
Die Geschichte des Reichs des Sonba`i ist eine Chronik politischer Allianzen, einmal mit Portugal, ein anderes Mal mit den Niederlanden. Unterschiedliche Bündnisse und Rebellionen wechseln einander ab. Immer zum Nachteil der Atoin Meto. Immer pro-ethnisch. Immer bemüht, Landnahme und Missionierung zu verhindern, ihre politische Hegemonie und Ethnizität gegen die Gier der Kolonialmächte zu schützen.
Ab 1867 zerfiel das Reich Sonba`i. Seit 1885 gibt es kein politisch unabhängiges Reich von Sonba`i mehr. Die Niederländer griffen zunehmend in die inneren Angelegenheiten des letzten unabhängigen Reichs der Atoin Meto ein. Das Inselinnere geriet unter niederländische Militärverwaltung. Die ersten Missionare kamen in das Innere der Insel und begannen ihr die kolonialen Verhältnisse stabilisierendes Werk. Die Sonba`i-Herrscher wurden in einen Kooperationsvertrag gezwungen und mussten die Oberhoheit der Kolonialmacht anerkennen.
1906 wurde Nai Sobe Sonbai III., der letzte regierende Sonba`i-Herrscher von niederländischen Truppen gefangengenommen. Mit dieser militärischen Aktion fand das indigene, unabhängige Reich des Sonba`i sein endgültiges Ende, Nai Sobe Sonbai III. ging auf die Nachbarinsel Sumba ins Exil, wo er 1922 starb.
Die politischen Interventionen der Niederländer zerschlugen des Reich des Sonba`i in zwei Teile: in Sonba`i besar und Sonba`i kecil. Groß-Sonba`i war das Reich im Landesinneren. Klein-Sonba`i Kupang und Umgebung. Sonba`i besar im Landesinneren behielt sein rituell-politischen Zentrum in Molo und Miomafo, häufig ein Verbündeter Portugals jenseits der Grenze, vermittelt durch die Schwarzen Portugiesen, die über Heiratsallianzen mit dem Adel der Atoin Meto verfügten. Später ging die Macht auf Ama Kono über. Miomafo hieß früher lange Zeit Amakono. Die dynastische Liste von Groß-Sonba`i ist überliefert:
- Nai Dawan, Sohn von Maromak Oan in Wehale
- Nai Natti, Dawans Sohn
- Nai Faluk, Nattis Sohn
- Nai Lele Sonba`i, Faluks Sohn
- Nai Tuklua Sonba`i alias Ama Tuan I., von 1650 bis 1680, Leles Sohn
- Nai Manas Sonba`i, am Ende des 17. Jahrhunderts, Tukluas Sohn
- Nai Neno Sonba`i alias Dom Pedro Tomenu, von 1704 bis 1726, Manas Sohn
- Nai Baob Sonba`i I. alias Alfonso Salema, von 1749 bis 1752, Nenos Sohn
- Nai Sobe Sonba`i I. alias Bernardo, von 1752 bis 1760, Baobs Sohn
- Nai Tafin Sonba`i alias Albertus Johannes Taffy, von 1760 bis 1768, Sobes Bruder
- Nai Kau Sonba`i alias Alphonsus Adrianus, von 1768 bis 1819, Tafins Sohn
- Nai Sobe Sonba`i II., von 1819 bis 1867, Kaus Sohn
- Nai Baob Sonba`i II., von 1867 bis 1885, Sobes Sohn
- Nai Nasu Mollo, von 1870 bis 1885, Baobs Cousin und Mitregent
- Nai Sobe Sonba`i III., von 1885 bis 1906, Sobe Sonba`is II. Sohn.
Sonba`i kecil war ein Reich von Niederlands Gnaden. Einer der Söhne des Sonba`i floh in den fünfziger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts nach Kupang. Er stellte sich unter den Schutz der Niederländer, die ihn als neuen Herrscher inthronisierten. Dieser Flüchtling war der erste Herrscher von Klein-Sonba`i mit dem majestätischen Namen Ama Tuan, der Vater, der der Herr ist. Er war der Sohn von Nai Tuklua Sonba`i. Die dynastische Liste von Klein-Sonba`i ist ebenfalls überliefert:
- Ama Tuan II., von 1659 bis 1672, Sohn von Nai Tuklua Sonba`i
- Bi Sonba`i, von 1682 bis 1717, Ama Tuans Tochter
- Bernardus Le`u, von 1717 bis 1726, der Sohn von Nai Neno Sonba`i, von 1704 bis 1726 Herrscher von Sonba`i besar
- Corneo Le`u, von 1728 bis 1748, Bernardus Bruder
- Daniel Taffy Le`u, von 1748 bis 1760, Corneus Bruder
- Jacobus Albertus Taffy, von 1760 bis 1776, Bernardus Sohn
- Nai Kau Sonba`i, von 1776 bis 1783
Von 1776 bis 1783 waren Sonba`i kecil und Amakono wiedervereinigt. Doch schon in den siebziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts zerbrach die Rebellion von Kau Sonba`i, dem Herrscher von Sonba`i kecil, das wiedervereinigte Reich. In Klein-Sonba’i übernahm eine Seitenlinie des Sonba`i, die Namengruppe Nisnoni, die Herrschaft. Auch diese dynastische Linie ist überliefert:
- Baki Bena alias Bernardus Nisnoni, von 1783 bis 1795, der Bruder oder Cousin von Jacobus Albertus Taffy. Dirk Hendrik Aulasi, von 1795 bis 1798, vielleicht der Sohn von Baki Bena
- Nube Bena alias Pieter Nisnoni I., von 1798 bis 1820, Bruder von Baki Bena
- Isu Baki, 1820, einer anderer Sohn von Baki Bena
- Ote Nuben Nisnoni, 1832, ein Enkel von Nube Bena
- Babkas Nube Nisnoni alias Pieter Nisnoni II., 1839, ein Sohn von Nube Bena
- Meis Babkas Nisnoni, von 1839 bis 1860, Babkas Sohn
- Pieter Messi Nisnoni, von 1860 bis 1874, Meis Sohn
- Isu Nisnoni, von 1875 bis 1889, Pieter Messis Bruder
- Said Meis Nisnoni, von 1890 bis 1902, Isus Sohn
- Baki Bastian Meis Nisnoni, von 1905 bis 1911, Said Meis Bruder
- Nicolaas Nisnoni, von 1911 bis 1917, Bakis Bruder, Raja von Kupang, von 1918 bis 1945
Bis 1917 bewahrte Sonba`i kecil eine relative Unabhängigkeit. In diesem Jahr wurde es mit Kupang vereinigt. 1918 wurde Nicolaas Nisnoni der erste Raja von Kupang. Ihm folgte sein Sohn, Alfonsus Nisnoni, von 1945 bis 1955 Raja von Kupang, der 1992 starb. 1955 beendete die indonesische Zentralregierung die lokale Monarchie in Kupang. Das inoffizielle Oberhaupt der Dynastie der Nisnoni ist der 1936 geborene Leopold Isu Nisnoni. Die Geschichte der Atoin Meto ist eine Geschichte der Wanderungen zur Landnahme. Aus dem Zentrum Timors immer weiter nach Westen. Dem Lauf der Sonne folgend. Namengruppen siedeln, vermehren sich, teilen sich, siedeln, vermehren sich, teilen sich, siedeln und immer so weiter durch die Jahrhunderte.
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