Freitag, 29. Januar 2021

Männer in Frauenrollen


In Soë ist Eli bekannt wie ein bunter Hund. Und ein solcher ist er auch, denn seine Kleidung, sein Auftreten und seine Rolle sind mehr als unkonventionell. Eli, eigentlich Elias, ist Mitte Dreißig, schlank, für einen Atoin Meto, groß, mit schwarzen, gekräuselten Haaren. Attraktiv und charmant, mit einem wachen Blick, aus dem immer der Schalk blinzelt. Der Kontakt mit ihm ist einfach, auch wenn er schnell intensiv wird, leicht emotional berührt und berührend. Er sucht Körperkontakt, ohne aufdringlich zu sein, und zieht sich schnell lachend zurück. Er genoss das Spiel von Annäherung und Zurückweisung.
Eli lebte für einige Jahre in Australien, wo er in Bars arbeitete, und ist erst neuerdings nach Soë zurückgekehrt. Er gibt sich gern selbstgewandt, und mit ihm zu plaudern, erinnert mich immer an die heimelige Atmosphäre im Kreis meiner Tanten, wenn es an Sonntagnachmittagen Kaffee und Kuchen gab. Am leichtesten begegnet man Eli am Pasar Lama, wo ihn alle kennen und mögen. Doch er passt nicht so recht ins Bild protestantischer Genügsamkeit, auch wenn die protestantische Lebensart in Amanuban wenig mit ihrer deutschen Version gemeinsam hat. Die Oberfläche scheint vertraut, aber schon etwas tiefer bleibt Raum für gut getarntes Indigenes. Worüber niemand gerne spricht.
Menschen wie Eli trifft man auch anderswo. Ich bewundere immer Frauen und Männer, die standhalten, schreibt Andreas Altmann in seiner Gebrauchsanweisung für Heimat. Die als Einzelstück darherkommen. Er erzählt von dem Kongolesen Monsieur Clémont, der erste leibhaftige Sapeur, dem ich begegnete, Menschen, mit ihrer Sehnsucht, sich herauszuputzen, ihr letztes Geld für Kleidung auszugeben, ihrem persönlichen Bestehen auf ihrer Einzigartigkeit. Sie proben den Auftstand gegen die Trostlosigkeit ihrer Umgebung, bewegt von dem Wunsch, auf keinen Fall so zu verwahrlosen, so enden zu dürfen wie das Ambiente, in dem sie leben. In westafrikanischen Mali traf Michael Obert den Sapeur Doudouyou, den er als Dolmetscher während seiner Reise auf dem Niger beschäftigte. Die erste Begegnung mit ihm schlidert er in Regenzauber: Mit dicken Kayalstrichen, die seinen Blick intensivieren, mit rotem Lippenstift, einem neongrünen Hemd und orangefarbenen Schuhen betritt er die Bühne von Oberts Reiseroman. Hinter ihm führte ein Junge einen Eselskarren, auf dem ein riesiger Koffer lag [...] Den meisten Platz nahmen drei schwere Mäntel ein.
»Ich glaube nicht, dass es unterwegs kalt wird«, sagte ich.
»Es ist nicht wegen der Kälte«, sagte Doudouyou. »Diesen hier werde ich an ganz gewöhnlichen Abenden tragen« - ein dunkelbrauner Wollmantel - »diesen bei Feuchtigkeit oder Regen« - ein schwarzer Ledermantel mit groben Futter - »und den hier bei besonderen Anlässen« - ein eleganter Lodenmantel aus Kamelhaar
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Montag, 30. November 2020

Die Verrotzten und Verheulten


Der Tod gehört zu den Unvermeidlichkeiten der menschlichen Existenz. Die griechische Lyrik nennt die Menschen die dem Tage ausgesetzten (ephemeroi) und Heidegger spricht von der Endlichkeit menschlicher Existenz. Die Gestaltung des Sterbens und der Umgang mit dem Verstorbenen sind kulturspezifisch unterschiedlich. In der Auseinandersetzung mit dem Tod entwickelt jede Kultur eigene Strategien der Tröstung. Bei uns verliert das Sterben zunehmend seine Bedeutung als Angelegenheit der ganzen Familie. Immer seltener versammeln sich die mütterlichen und väterlichen Verwandten um die im Hause aufgebahrte Leiche, finden Trost und Hoffnung in der gemeinsamen Klage, und organisieren und zelebrieren Trauerzug, Begräbnis und Totenmahl als wichtige Bestandteile des letzten Übergangsrituals, das der bewussten Erfahrung des Menschen zugänglich ist.

Dienstag, 3. November 2020

Ein Yogin im Hinterland


Simon Petrus ist ein Asket. Ein Übender. Ein sich bewusst Werdender. Simon Petrus ist ein Mensch. Was ist er noch? Er ist ein Banamtuan, ein Herr von Banam. Und als ein Banamtuan schaut er auf eine Reihe bedeutender Ahnen zurück. Banam heißt heute Amanuban, ein Landkreis der modernen indonesischen Bürokratie. Im Herzen Westtimors gelegen, eine Savanne: ein hügeliges Land, sanfte Hänge, schroff abfallende Schluchten, bizarre Felsformationen, die Fatu heißen, Skulpturen, von urzeitlichen Bildhauern in die Landschaft geschlagen. Fantastisch!

Freitag, 2. Oktober 2020

Durch das Tamarindentor


Ich bin mir sicher: Abraham ist mir sympathisch, ich mag ihn sofort. Will ihn näher kennenlernen, mit ihm zusammenarbeiten. Er wird nicht mein einziger Informant bleiben, ich werde andere treffen, andere Daten bekommen, vergleichen und korrigieren können. Doch Abraham öffnet mir die Tür in seine Kultur und seine schillernde Persönlichkeit ist faszinierend. Der Abraham, den ich im Sonaf kennenlernte, war nicht wirklich. Er trug eine Maske, spontan für mich entworfen, und spielte eine Rolle, eine überzeugende Inszenierung. Situation und Atmosphäre vor ein paar Tagen in Nopes Sonaf verlangten es von ihm.
Zu Besuch in seinem Haus in Eno Kiu, relativiert sich manches. In den eigenen vier Wänden ist er weniger lautstark, zusammen mit Frau und Kindern, Nachbarn und Passanten, die vorbeikommen, eintreten, sich neugierig umschauen, mich bestaunen, Fragen stellen und weitergehen. Besonders den Kindern steht Überraschung und Unsicherheit ins Gesicht geschrieben. Schüchtern drücken sie sich in die Ecken oder stecken ihre Nasen durch die offenen Türen und Fenster. Abrahams Tür steht für Vorbeikommende offen. Gastfreundschaft ist oberstes Gebot, und Betel gibt es immer. Scheinbar gibt es niemanden, den er nicht kennt. Immer hat er Zeit und die Muße, sich einem Besucher zuzuwenden. Ein perfekter Gastgeber. Das ist in Eno Kiu üblich, lautet seine lapidare Antwort. Auch anderenorts. Schlösser, verschlossene Türen, gibt es nicht. Die Sphäre des Mannes ist das öffentliche Forum. Abraham genießt die Öffentlichkeit. Selbstdarstellung und Selbstinszenierung. Für sich selbst und zum Vergnügen anderer. Die Frauen leben innen, im Hintergrund, im Atrium.

Donnerstag, 17. September 2020

TV-Shooting im Sonaf


Wenn du in Rom bist, sei wie ein Römer!, gibt Clifford Geertz dem Ethnologen im Feld mit auf den Weg. Geertz und seine Frau, die an illegalen Hahnenkämpfen teilnahmen, gerieten in eine Razzia, die sie mit ihren balinesischen Mitmenschen in eine panische Flucht trieb. So seltsam es klingen mag, aber genau diese kuriose Situation bildete für sie den Einstieg in die dörfliche Gemeinschaft. Ein guter Rat, der mir im Laufe der Monate meine Arbeit in Amanuban sehr erleichtert hat.
Eine der unvorhersehbaren, nicht bewusst oder absichtlich herbeizuführenden Voraussetzungen für eine ethnologische Feldforschung ist die Notwendigkeit, von der Gastkultur aufgenommen und akzeptiert zu werden. Von meinen Bemühungen und von meiner Ahnungslosigkeit, mich in die Gastkultur der Atoin Meto zu intergrieren, erzähle ich in meinem Indonesischen Tagebuch, das den Beginn einer nicht gut genug vorbereiteten Feldforschung schildert. Auch der zuletzt unvermeidbare Betelkonsum gehörte dazu.

Dienstag, 18. August 2020

Myth-Historische Männerbilder


Luirai und Sonba`i. Zwei Namen, die in den unterschiedlichen Herkunftsmythen der Atoin Meto eine besondere Rollen spielen. Sie repräsentieren ein kulturspezifisches Ideal von Männlichkeit und bieten einen Kristallisationspunkt historischen Ursprungs. Weiter zurück geht es in den historischen Überlieferungen der Atoin Meto nicht. Meine Informationen über diese beiden myth-historischen, indonesischen Herrscher in West- und Zentraltimor stammen aus den exegetischen Interviews mit Johan Christian Sapay aus Nakmofa, einem Weiler im Dorf Kiufatu, im Landkreis Südamanuban. Ich gebe Sapays Verständnis der Geschichte der Atoin Meto so wieder, wie er sie mir berichtet hat. Manches deckt sich mit den ethnographischen Quellen, die von niederländischen Reisenden, Kolonialbeamten, Missionaren und später auch von Wissenschaftlern stammen, einiges steht dazu in Widerspruch. Sapays Bericht ist die klanzentrische Version der Domäne Kuan Fatu in Südamanuban. Die vergangenen historischen Ereignisse erscheinen in seiner Version fragmentarisch und volkstümlich. Anderswo existieren mit Sicherheit andere Lesarten, denn eine allen Atoin Meto eigene Geschichte gibt es momentan noch nicht. Weitere Forschungen sind erforderlich um Kenntnislücken zu schließen und das vorhandene Wissen zu systematisieren, um eines Tages die Geschichte der Atoin Meto schreiben zu können.

Donnerstag, 13. August 2020

Biographie und ethnologische Begegnung


Unter Biographie verstehe ich die diachrone Beschreibung eines Lebens, die auf einen bestimmten Stimulus hin und auf ein Gegenüber produziert wird. Biographische Texte sind ein Produkt von Interaktion. Aus diesen Grund sind sie alles andere als quantifizierbare Wirklichkeit. Deshalb bestehen biographische Informationen, von wem auch immer

  • aus einem Konglomerat von erinnerten, als markant  gewerteten Ereignissen eines Lebenslaufs, auf die  Ereignisse, auf die ein Leben kondensiert;
  • aus einer Ko-Produktion der Interaktion von Erzähler und Zuhörer, wobei jeder an der Entstehung dieser bestimmten Biographie, die jeweils erzählt wird, einen Anteil hat;
  • aus einer abschließende Auswertung und Interpretation der produzierten biographischen Texte durch den Zuhörer.

In seiner Philosophie geht es Hermann Diltheys um die Erfassung des ganzen Menschen, die ihn aus seiner in Laboratoriumssituation und naturwissenschaftlichem Verfahren reduzierten Existenz befreien will. Unter diesem Leitmotiv versteht er die Betrachtung des Gesamtzusammenhangs menschlichen Lebens, den andere methodische Ansätze, die nur einzelne Aspekte des menschlichen Lebens betrachten, vernachlässigen. Ein hoher, wenn auch geerechtfertigter Ansatz, den ich in den fragmentarischen biographischen Splittern der homophilen Weber, von Abraham Sakan oder Simon Petrus Banamtuan nicht leisten will. Insofern erhebe ich keinen Anspruch auf die Erhebung einer Gesamtbiographie oder auf die Re-Produktion vergangener faktischer Wirklichkeiten. Es geht mir vielmehr um eine Auseinandersetzung mit meiner subjektiven Befindlichkeit hinsichtlich bestimmter Ereignisse der Begegnung. Diese erachte ich allerdings als markant, für den Ethnologen und seinen Informanten, da sie soziale und psychische Auswirkungen auf beider Leben erlangt. Meine Versuche biographischen Schreibens im Rahmen einer ethnologischen Begegnung verstehe ich als Fragmente dessen, was Leben in Amanuban bedeuten kann.