Ich kam nach Amanuban, um die Bedeutung der Ikonographie der Tracht der Atoin Meto zu verstehen. Es muss Ende der 1970er Jahre gewesen sein, ich befand mich mitten in meinem Studium der Völkerkunde an der Albertus-Magnus-Universität zu Köln. Waldemar Stöhr war damals Kurator am Rautenstrauch-Joest-Museum und mit Ostindonesien befasst. Von ihm stammt die spannende Studie über die altindonesischen Kulturen, die mich beeindruckt und beeinflusst hat. Und auch die Ausstellung über diese Kulturen war sein Werk, ganz oben, fast verstaubt, unter dem Dach des Museums untergebracht. Ich war damals noch naiv und unerfahren, glaubte, ein Studium der Völkerkunde habe mit Abenteuern in fremden Ländern zu tun, dachte wahrscheinlich an Reisende, Forscher und Entdecker, an eine Mischung aus 1001 und eine Nacht, an Fenimore Cooper, F. Gerstecker oder Karl May in Personalunion. Das war am Anfang dieser Disziplin nicht viel gewesen, in 18., 19. und frühen 20. Jahrhundert. Ende des 20. Jahrhunderts hatten die dürren Fakten über die Inspiration gesiegt. Das Fiktive, Imaginäre, Visionäre und Mysteriöse, da weder wirtschaftlich noch politisch verwertbar, führte in der Ethnologie nur noch ein Schattendasein. Lediglich seinen Unterhaltungswert leugnete man nicht.
Samstag, 14. März 2020
Montag, 13. Januar 2020
Ein Greenhorn in Amarasi
Für meinen ersten Ausflug aus dem Schutz der Stadt
wähle ich Baun, eine Ortschaft im Regierungsbezirk Kupang; Landkreis
Westamarasi. Dieses Mal will ich es allein versuchen, auf dem Land, mich von
jeglicher Bevormundung durch Nachbarn oder Behörden befreien. Keine Empfehlung
mehr, nicht mehr an die Hand genommen werden von Gutmenschen, die glauben,
besser zu wissen, wonach ich suche, als ich selbst. Meine Versuche, eine Basis
für meine Forschung zu finden, waren bisher enttäuschend. Es fällt mir noch immer schwer,
mich für eine Region, eine bestimmte Ortschaft, zu entscheiden. Forschende, die sich von einer örtlichen Institution den Weg weisen lassen, haben es einfacher. Mir war es wichtig, nicht als Repräsentant von Irgendwem zu erscheinen. Trotz allem stellte es sich als sehr schwierig heraus, diese Rolle schließlich los loszuwerden.
Dienstag, 3. September 2019
In Kupang
Denpasar, Bali. Der Flughafen heiß I Gusti Ngurah Rai, nach dem Nationalhelden Ngurah Rai. Der Name des Flughafens erinnert an einen adeligen Befreiungskämpfer, einen Gusti, der den Niederländern die Stirn geboten hat. Noch war Timor nur eine Idee. Abflug von Denpasar nach Kupang. Gemischte Gefühle, die nächste Etappe meiner Forschungsreise ins Innere einer unkalkulierbaren Fremde. Eine Reise ins Ungewisse, von der meine balinesischen Freunde vermuteten, sie koste mich das Leben.
Samstag, 24. August 2019
Amanuban und ich
Es ist Jahrzehnte her. Immer häufiger tauchen Gedanken an jene Zeit wie flüchtige Schatten auf einer Leinwand auf. Wer inszeniert dieses Schattenspiel, entwirft die Figuren, schreibt das Skript? Auf ihrer Jenseitsreise bringen Helden an der Pforte zur Unterwelt Blutopfer dar, wenige Tropfen nur, aber sie reichen aus, ihre Rückkehr zu sichern. Was ist wichtig? Was kostet es mich, in meine Erinnerungen zu tauchen, um Vergangenes sichtbar zu machen? Zuerst sehe ich nur Fragmente meiner Jahre in Amanuban. Während des Schreibens füllen sich allmählich die Lücken. Einst Erlebtes wird zum konkreten Bild. Persönliche Mythen mischen sich mit realer Biographie. Zwischen die Zeilen gestreute Zeit. Inzwischen glaube ich selbst an meine eigenen Legenden, wie ein Kind, an die Möglichkeit ferner Welten. Die Seele ist ein weites Land, in das die Träume fliehen. Verstaubte Notizen in Tagebüchern und Zettelkästen fließen in die Seiten, wo sie sich im Licht der Wirklichkeit vermischen. Viele Jahre später.
Freitag, 2. August 2019
Im Westen Timors
Timor. Warum musste es
ausgerechnet Timor sein? Vielleicht weil die Insel so weit entfernt von
Deutschland lag, sodass sie meine Vorstellungen von Exotik überstieg. Timor repräsentierte
für mich die Fremde an sich. Fast schon Südsee. Ich wollte fort aus den engen
Städten mit ihren Vorschriften und Regeln. Ausbrechen aus der Kreativität und
Lebendigkeit erstickenden Routine des universitären Alltags. Ich wollte
anders sein und anders leben. Mir selbst fremd werden und mich in der Fremde wiederfinden. Anders sein als in den Jahren theoretischer Wissenschaft. Ich wollte dorthin, wo das Wissen zu finden ist. Mit Haut und Haar eintauchen in die ethnologische Praxis.
Samstag, 13. Juli 2019
Schichten und Geschichten
Das moderne Zeitalter des Ferntourismus mit seinem Phänomen des Massentourismus, der Urlauber bequem an jedes Ziel und in jede fremde Kultur weltweit befördert, sorgt gleichzeitig dafür, dass der Tourist so wenig Kontakt wie möglich mit der Fremde bekommt. Das war schon einmal anders, damals als die ersten Reisenden sich ihre Wege noch selbst bahnen mussten, oft unter erheblichen Entbehrungen. Was sie erlebten, hat sich tief in ihre Persönlichkeit eingegraben, und sie unwiderruflich verändert. Heutzutage findet selbst der Weltreisende oft nur seine eigenen Erwartungen, sodass er sich auch in der Fremde wie zu Hause fühlen kann. Der Ethnologe, wie der Reisende, der er ist, hinterfragt sich in der Bewegung.