Für meinen ersten Ausflug aus dem Schutz der Stadt
wähle ich Baun, eine Ortschaft im Regierungsbezirk Kupang; Landkreis
Westamarasi. Dieses Mal will ich es allein versuchen, auf dem Land, mich von
jeglicher Bevormundung durch Nachbarn oder Behörden befreien. Keine Empfehlung
mehr, nicht mehr an die Hand genommen werden von Gutmenschen, die glauben,
besser zu wissen, wonach ich suche, als ich selbst. Meine Versuche, eine Basis
für meine Forschung zu finden, waren bisher enttäuschend. Es fällt mir noch immer schwer,
mich für eine Region, eine bestimmte Ortschaft, zu entscheiden. Forschende, die sich von einer örtlichen Institution den Weg weisen lassen, haben es einfacher. Mir war es wichtig, nicht als Repräsentant von Irgendwem zu erscheinen. Trotz allem stellte es sich als sehr schwierig heraus, diese Rolle schließlich los loszuwerden.
Von Kupang aus verkehren Busse nach überall in Westtimor. Warum gerade Baun? Weil ich eine historische Fotografie gesehen habe. Altertümlich verblichenes Chamois. Keine andere Farbgebung gibt die Atmosphäre von Vergangenem besser wieder, die historische Fotografien ausatmen. Der anonyme Fotograf hat eine exotische Stimmung im Bild konserviert: die kriegerische Pose des Atoin Meto-Kriegeradels, ihr wilder Blick, ihre malerischen Uniformen, eine Melange aus malaiischem Pirat und mexikanischem Desperado; ihre zur Schau gestellten antiken Waffen: Dolche, schmale Schwerter, Gewehre. Ein Gruppenbild mit Fürst aus dem 19.
Jahrhundert: ein Raja aus Baun mit seinen Krieger-Kopfjägern im traditionellen
Ornat. Mysteriös. Malerisch. Geheimnisvoll, Assoziationen und Fantasien, Repräsentanten der Lektüre aus Kindheit und Jugendtagen. Ich weiß nicht, aus welchen Gründen andere die Ethnologie zum Beruf machen, bei mir liegt eins dieser Motive in den zahlreichen Sagen, Märchen und Abenteuergeschichten, die ich in den Jahren der Adoleszenz gelesen habe. Inzwischen bin ich mir sicher: Ohne
solche Faszinationen gäbe es keine Ethnologie. In jedem, den es in die Fremde
zieht, leben diese inneren Bilder, die suchend plötzlich ihre äußere
Entsprechung finden. Die Schwierigkeit besteht darin, sich die
wissenschaftliche Arbeit nicht durch seine Träume diktieren zu lassen. Zu träumen ist allerdings nicht falsch. Wer versucht, diese Faszination aus Angst nicht objektiv zu sein verdrängt, wer naturwissenschaftliche Methoden in eine geisteswissenschaftliche Disziplin einführt, vermeidet die Begegnung, die von Subjektivität geprägt ist. Quantifizierbare Daten ermöglichen kein tieferes Verstehen der kulturspezifischen Conditio humana. Im Gegenteil. Sie streifen lediglich die Oberfläche, zerstören die Qualität der Beziehung, und vermeiden affektives Betroffensein. Beobachtung ohne Teilhabe. Nicht mehr, und viel zu wenig. Nackte, emotionslose Fakten statt gegenseitiges Verstehen. Seit ich
nicht mehr vom öffentlichen Gerede und dem Applaus der Fachgemeinschaft
geblendet bin, kann ich klarer sehen. In Wirklichkeit sind es Bilder, die mich
nach Amanuban gelockt haben. Und Baun? Weil ich von Alfonsus Nisnoni aus der
Dynastie von Baun gehört habe, der bis 1955 der letzte Raja Kupangs war. Nach
dem Zweiten Weltkrieg hat die indonesische Nachkriegsregierung das Reich des
Sonba`i für immer beendet. Hört man genau hin, dann versteht man, warum viele
Atoin Meto sich in einem besetzten Land gefangen fühlen.
Baun liegt zweihundertvierundfünfzig Meter über dem Meeresspiegel. Das Klima ist angenehmer als in der feuchtheißen Kupangbucht. Clarke Cunningham hat in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts die soziale und politische Organisation der Atoin Meto in dem Dorf Soba erforscht, in Amarasi, einem der zehn vorindonesischen, politischen Territorien. In Amarasi spricht man einen eigenen Dialekt des Uab Meto, der dem der östlich siedelnden Tetun ähnelt. Die Atoin Meto nennen sie Belu, Freund. Hier trägt man eine differenzierende Tracht: die weiße Mittelbahn des Hüfttuchs kontrastiert deutlich mit der schwarzblauen Indigofarbe der Kleidung in Amanuban. An solchen Farbpräferenzen erkennt jeder Atoin Meto, woher der andere kommt. Ich bin neugierig die Landschaft endlich zu sehen, die Menschen zu treffen, über die ich so viel gelesen habe.
Baun liegt fünfundzwanzig Kilometer
südöstlich von Kupang und ist leicht mit Bus oder Bemo zu erreichen. Der
őffentliche Nahverkehr in Stadt und Umgebung ist optimal ausgebaut. Ich steige
am Busterminal in ein Bemo und fahre an den Stadtrand nach Oepura. Dort
wechsele ich nach einem kurzen Aufenthalt das Bemo, und verlasse Kupang hinaus
aufs Land. Die Sicht aus dem kleinen, überfüllten Mikrolet ist durch die eng
gedrängt sitzenden Passagiere eingeschränkt. Die Fahrt geht durch dünn
bewaldetes Gelände. Rechts und links der Straße wachsen reichlich Kokospalmen
und Bananen. Und viele einheimische Bäume, deren Namen ich noch nicht kenne.
Entlang der Landstraße verstecken sich Gehöfte zwischen Nutzpflanzen, schwer zu
entdecken, inmitten der kaum gezähmten Natur. In den Hausgärten stehen kleine,
rechteckige Häuser, gleich an der Straße, mit Wänden aus gespaltenem Bambus und
Dächern aus dicht nebeneinander liegenden Alang Alang-Garben. Errichtet sind
sie auf Bruchsteinfundamenten, andere unmittelbar auf dem planierten Lehmboden.
Sie besitzen ein Giebeldach und mehrere Fenster. Die indonesische Regierung
propagiert diese Bauweise, in der Hoffnung, sie verdrängt innerhalb weniger
Generationen die traditionellen Gebäude: das weiblich konnotierte, traditionelle Rundhaus ume kbubu und den als männlich aufgefassten lopo. Man nennt diese Häuser rumah sehat, gesunde Häuser, weil sie hell und gut gelüftet sind, und innen keine offene Feuerstelle besitzen. Diese modernen Häuser beherrschen heutzutage den Vordergrund der Gehöfte. Sie bilden die Fassade hinter der sich das Leben der Familie abspielt; häufig in zusätzlich Gebäuden. Im Rumah sehat werden die Gäste
empfangen und bewirtet, schlafen Kinder und Jugendliche. Im Hintergrund,
abseits der Straße, neugierigen Blicken entzogen, steht das Ume kbubu, in der
Form eines überdimensionalen Bienenkorbs. Die Gebärmutter Amanubans, nannte
Mesahk Banamtuan, Penatua in Niki Niki Un, dieses überlieferte Wohnhaus. In seinem Inneren erblickten einst die Kinder das Licht der Welt. Während der Geburt lag die
werdende Mutter auf einer kniehohen Bambusplattform. Zehn Tage blieb sie mit
dem Neugeborenen in diesem fensterlosen Gebäude, unter ihr eine schwelende Feuerstelle. Die Hitze sollte sie reinigen und ihre Fruchtbarkeit wiederherstellen. Um die Fruchtbarkeit der Erde zu erneuern, verbrennt auch die Sonne in der Trockenzeit
den Erdboden, damit er am Beginn der Regenzeit den Regen, den Samen von Uis
Neno, der Himmelsgottheit, in den gereinigten Boden aufnehmen kann. Frauen,
Erde und Leben bildeten einst eine Einheit im Denken der Atoin Meto, in den
Jahrhunderten vor Ankunft des patriarchischen Christentums. Die Plazenta, das Geschwister des Kindes, platzierte der Vater einst in einem Tonkrug in der Astgabel eines Kusambibaums. Überlebte der Säugling die Zeit der Abgeschiedenheit im Ume kbubu, wurde er rituell aus der Privatheit des Hauses in die
Öffentlichkeit der sozialen Gemeinschaft getragen und dieser vorgestellt. Nach seiner biologischen, seine zweite, soziale Geburt. Der Abschluss des ersten Lebenszyklusrituals.
Mit diesem Schritt in die Welt gehörte er einer Gemeinschaft an, die ihm auch
bei seinem letzten Übergang am Ende seines irdischen Lebens zur Seite stand.
Die Atoin Meto sprechen von den zwei Türen, die ins Leben und wieder hinausführen. Es ist nicht viel von diesen Ritualen übrig geblieben, an dem einst auch die Ahnen als unsichtbare Gäste teilnahmen. Nur mit Mühe und vielen Anfeindungen ist es mir gelungen, an einem Begräbnis in Mauleum, in
Ostamanuban, teilzunehmen, das eine zu beobachten, auf anderes Antworten zu
bekommen. Von einer traditionellen Geburt habe ich weder gehört noch eine
miterlebt. Niemand konnte oder wollte mir sagen, ob sie noch vorkommen. Ich
kann mir nur schwer vorstellen, dass sich eine der Frauen, die ich kennenlernte, zehn Tage auf diesen Grill legen würde. Einer meiner Instagram-Kontakte vermutete kürzlich, dass noch zehn Prozent der Bevölkerung diese traditionellen Geburtsrituale in Amanuban durchführen. Christliche Taufe und Begräbnis sind als farblose Zeremonien an die Stelle der alten Lebenszyklusrituale getreten. Doch
trotz ihrer unterschiedlichen Botschaft erfüllen sie den gleichen Zweck. Nur die Ahnen sind abwesend und ausgeschlossen.
Das weibliche, fensterlose Rundhaus, dessen Dach bis auf den Erdboden hinab reicht, ist abgeschlossener und abweisender kaum denkbar. Dieses runde Wohnhaus ist der primäre Wohn- und Arbeitsbereich der Frau: Küche, Getreidespeicher und Schlafplatz der Eheleute; Ort des Webgeräts der Frau, das zusammengerollt auf dem Speicherboden zwischen den Maiskolben und dem Saatgut für das kommende Jahr liegt. Der weibliche Teil
der Wohnung bietet Sicherheit und Schutz, Nahrung und die wohltuende Kühle und
Gesundheit für die Familie und den Haushalt. Im Inneren brennt ununterbrochen
das Herdfeuer. Sternförmig liegen drei große Äste in der Feuerstelle, deren
Spitzen sich in der Glut fast berühren, und die je nach Bedarf weitergeschoben
werden können.
In diesem fensterlosen Gebäude beginnen meine Augen im Rauch des Feuers zu tränen, doch die älteren Atoin Meto schlafen ungestört in diesem Raum. Aus Mangel an einer Öffnung sucht der Rauch sich seinen Weg durch das
Grasdach ins Freie. Früh am Morgen, wenn es gerade dämmert, schürt die Frau des Hauses das Herdfeuer. Dann zieht der Rauch in langen Schwaden durch jede Ritze des Grasdachs. Eine romantische, malerische Atmosphäre liegt dann in der Luft, und es scheint, als schweben Fetzen eben noch geträumter Bilder durch
das Gehöft.
Ganz anders der Lopo, das traditionelle Haus des Mannes, dessen Konstruktion dem Ume kbubu nur scheinbar gleicht. Die symbolische Bedeutung der Konstruktion orientiert sich an den Eigenschaften und Bedürfnissen des Mannes. Der Lopo ist das Forum des Gehöfts, die öffentliche Wohnung des Mannes, entfernt verwandt mit dem melanesischen Männerhaus. Er erhebt sich auf einer runden Grundfläche, dient ebenfalls als Speicherboden, aber vor allem als Gästehaus und Versammlungsort
der Männer. Hier finden die öffentlichen Angelegenheiten der Familie statt,
Männersachen werden hier besprochen und diskutiert. Sein kegelförmiges Grasdach
ruht, wie auch das des Ume kbubus auf vier quadratisch arrangierten Pfosten,
die eine Plattform stützen, die sich knapp zwei Meter über dem Boden erhebt.
Auch auf diesem Speicher, dessen Unterseite oft mit den charakteristischen
Hakensymbolen dekoriert ist, lagert die Maisernte, Teile des Saatguts für das
kommende Jahr und alle Gegenstände, die der Mann im Alltag und im Ritual
benötigt. Unter dem Lopo wird auch seine Leiche aufgebahrt. In alten Zeiten ehrte er
hier seine Ahnen, indem er ihnen kleine Opfer, mit Vorliebe Betel, an einen
Pfosten hängte. Die Aluk, die kleine verzierte Tasche, in der der Verstorbene,
später dann verehrte Ahn, seine persönlichen Gegenstände wie Messer, Münzen und
das Zubehör für den Betelkonsum aufbewahrte, wurde ebenfalls am Lopo aufgehängt, ein metaphysischer Ort, der es ihm ermöglichte, noch eine Zeit am Leben der Gemeinschaft teilzunehmen. Durchlochte, runde Steinplatten am oberen Ende eines jeden Pfostens schützen das Getreide vor Nagetieren.
Der größte Unterschied der beiden Gebäude besteht im Dach des Lopos. Dieses
reicht nicht bis auf den Erdboden hinab, sondern endet auf Schulterhöhe.
Umgeben ist das Gebäude von einem Steinkreis, auf dem die Männer sitzen, sich
im Schatten ausruhen, palavern und Betel essen oder rauchen. Die alten Lopos in
den Höfen des Adels stehen auf einem hüfthohen Fundament aus Bruchsteinen.
Die Auffassung der Atoin Meto vom Wohnen spiegelt sich auch in ihrer Tracht wider.
Wie das Dach des Wohnhauses bis auf den Boden reicht, bedeckt der röhrenförmige
Rock der Frau ihren Körper von der Taille bis hinab auf die Füße. Wie fremde
Blicke den Weg nicht ins Innere des Hauses finden, so ist auch die Wade der
Frau vor diesen Blicken verborgen. Das Dach des Lopos reicht dagegen nicht bis
auf den Boden, und auch das Männerkleid endet auf der Wade. Dem Mann ermöglicht es
sich im Rahmen seiner Aktivitäten in der Öffentlichkeit schneller und leichter
zu bewegen, was besonders für den Meo, den Krieger-Kopfjäger aus alter Zeit, höchst
vorteilhaft war.
Natur und Kultur sind in den Siedlungen der Atoin Meto streng geschieden. In einem Gehöft lebt eine
erweiterte, patrilineare Familie in einem gemeinsamen Haushalt, der eine
soziale, rituelle und wirtschaftliche Einheit bildet. Nur ein einziger Name ist
für diese Einheit erforderlich. Haus, Haushalt und Familie, sie alle heißen ume. Jedes Gehőft ist von
dichter Vegetation umgeben. Es macht den Eindruck, als hätten die Bewohner ihre
Wohnung unmittelbar aus der Natur geschnitten, ihr diese kleine Fläche
abgerungen, die von allen Seiten von einer Vielzahl von Pflanzen bedrängt wird.
Eine Lichtung, ein überschaubares Residuum, wo die meisten wirtschaftlichen und
sozialen Aktivitäten stattfinden, inmitten einer unstrukturierten Vegetation. Magische und animistische Vorstellungen sind noch nicht ganz verschwunden. Man
spricht nur nicht mehr gerne über sie. Unmittelbar jenseits des vegetationsfrei
gehaltenen Siedlungsplatzes beginnt das heiße, gefährliche Draußen, die
grenzenlose Weite der Welt des umherstreifenden Mannes. Heiß ist sie, aggressiv und unberechenbar in ihrer Reaktion. Aufgeklärte Atoin Meto, die wenigsten nominell Christen sind, leben in einer konfliktreichen Ambivalenz mit dieser
Sphäre. Sie fühlen sich sicher im modernen Indonesien, sind aber unsicher, ob
sie ihren Priestern und Lehrern glauben sollen. Der Konrektor einer Grundschule
in Soë, der mich im Uab Meto unterrichtete, erzählte mir von einer nächtlichen Heimfahrt
aus Kapan durch die Berge nach Hause. Aus seinem Heimatdorf hatte er
frischgeschlachtetes Schweinefleisch auf dem Gepäckträger seines Motorrads
mitgebracht. Am Eingang einer Schlucht, wo unter einer Brücke ein kleiner Bach
über Findlinge plätschert, wirft er jedes Mal ein paar Zigaretten ins Wasser,
damit ihn die dort lebenden Kobolde unbehindert passieren lassen. Ein
Englischlehrer einer Mittelschule berichtet in besten Oxfordenglisch von einem
landwirtschaftlichen Ritual seines Klans in Molo, bei dem Fleisch den
mysteriösen Bewohnern eines kleinen Bergsees geopfert wird. Solche Erzählungen
sind keine einzelnen Fundstücke. Ich habe viele in Amanuban gehört, und auch in
Java und Bali hörte ich von gebildeten, modernen Indonesiern Berichte von
Geistererscheinungen, Dämonen und Exorzismen. Von Suharto, ehemals Präsident
Indonesiens, ist bekannt, dass er bei wichtigen Entscheidungen einen Wahrsager
zu Rate zog.
Unmittelbar außerhalb der Geborgenheit der Wohnung befindet sich die Sphäre des Unheimlichen, wo immaterielle Energien ihr Wesen treiben, denen die Menschen nicht gerne begegnen. Außerhalb der Grenzen des Gehöfts vermuteten die Atoin Meto eine von unpersönlichen Mächten und Verstorbenen, nitu genannt, belebte Welt; gelegentlich selbst dann noch, wenn sie protestantische Christen sind. Katholische Atoin Meto, deren religiöse Überzeugungen wunderwirkende Heilige, eine unbefleckte Empfängnis und eine mysteriöse Transsubstantiation mit einschließt, haben mit einem religiösen Synkretismus weniger Probleme. Der aufgeklärte Ethnologe hat dagegen mit dem Verständnis sogenannter metaphysischer Phänomene seine Schwierigkeiten. Das, was die
Atoin Meto Nitu nennen, übersetzt die Ethnologie mit Begriffen wie Traumseele oder Totengeist, während sie selbst dabei an die lebende Leiche ihres verstorbenen Verwandten denken. Am ehesten stellt man sich einen Nitu als einen Außerbetriebgesetzten
vor, als jemanden, der am anderen Ufer, jenseits des Dorfes, eine neue
Heimat gefunden hat. Außerbetriebgesetzt insofern, als er in und für die
Lebenswelt seiner Gemeinschaft keine Rolle mehr einnimmt. Dass man ihn nicht
sieht, sondern nur spürt, bedeutet nicht, dass er nicht mehr existiert. In
Tanimbar, einer Insel der Molukken, habe ich gehört, besitzen die Verstorbenen
einen spezifischen Duft, der ihre Anwesenheit verrät.
Die ungezügelte Natur in
der Umgebung ihrer Siedlung kontrastieren die Atoin Meto der kühlen, sicheren und wohltuenden Atmosphäre ihrer Wohnung. Die Bewohner halten ihren Siedlungsplatz aber nicht nur vegetationsfrei, weil es Spinnen, Raupen, Skorpione und Schlangen gibt. Geschützt vor oft giftigem Getier, das undifferenziert Kaunaheißt. Sie alle kriechen auf dem Boden, das Merkmal, das es ermöglicht, sie zu einer Gattung zusammenzufassen. Gott verfluchte Luzifer mit dem Bauch auf dem nackten Erdboden zu kriechen; auch eine Schnittstelle von Christentum und kultureller Überlieferung. Kauna sein heißt giftig sein.
Ich bin noch immer auf dem Weg nach Baun. Bescheidene Häuser säumen die Straße. Grasbündeldächer für die Mittellosen, Dächer aus Wellblech für die Reichen, die in der hohen Luftfeuchtigkeit vor sich hin rosten.
Im Bemo ist es eng und drückend heiß. Die neuesten
amerikanischen Popsongs hämmern aus den überdimensionierten Lautsprechern unter
den Sitzen. Auf den Plastikbänken kleben mir Hemd und Hose am Leib. Unter den
Achseln entspringen Quellen, deren Wasser in Bächen an mir herabfließt. Es ist eng, und niemand scheut den Körperkontakt zum Nachbarn. Es riecht nach Schweiß und dem würzigen Rauch des mit Nelken gemischten Tabaks. Sie hinterlassen kleine
Brandlöcher auf den Hemden, wenn eine glühende Nelke in der Zigarette explodiert.
Die schmale, kurvenreiche Asphaltstraße führt stetig bergan, durch zwei kleine Siedlungen, einen Pass hinauf. Ihnen fehlt ein
Zentrum, ein Dorfkern mit Markt, Kirche oder einem zentralen Baum, wo sich die
Menschen versammeln und Markt abhalten. Eine größere Ansammlung von Häusern
muss kein Dorf sein, meist sind es nur Weiler. Mehrere Wohnhäuser und Speicher
versammeln sich auf dem vegetationsfreien Siedlungsplatz. Ich habe gelesen,
dass die Inseln Ostindonesiens zu den dünn besiedelsten Gegenden des Archipels
zählen. Derweil strebt der Minibus weiter der Passhöhe entgegen. Die Straße hat
sich inzwischen erheblich verschlechtert. Kurz hinter Kupang war die Asphaltdecke noch relativ gut, doch dann wechselten sich beschädigte Passagen mit den letzten Resten des einstigen Asphalts ab. Über kleinere und größere Schlaglöcher geht es holpernd aufwärts. Der Kleinbus bewältigt Steigungen, die er anschließend, voll beladen und in riskantem Tempo, bergab nimmt. Noch einmal
schaukelt der kleine Minibus steil bergauf. Eine steinige Piste. Oben auf dem
Pass wachsen kaum noch Pflanzen und Bäume. Angekommen öffnet sich die weite
Savanne, die welligen Hügel Westtimors, auf die ich von der Höhe hinabsehen
kann. Mein Blick schweift über eine ausgedehnte Mittelgebirgslandschaft. Die
Berghänge sind grasbewachsen. Vereinzelt stehen Gruppen großer Bäume und
Sträucher entlang der Flussläufe, grüne Striche im Braun und Ocker der
Landschaft. Ein grenzenloser Park. Mein erster Eindruck von der hügeligen Trockensavanne der Insel. Ich bin begeistert und augenblicklich verliebt. Jenseits des Passes werden die Steigungen abwärts immer sanfter. Schnell erreichen wir Baun. Endstation in Westamarasi: Zweiunddreißigtausend Atoin Meto leben hier auf einer Fläche von etwas über zweihundert Quadratkilometern.
Der Minibus hält auf einem ausgedehnten, von Bäumen
umringten Platz. Ein großer Pavillion auf einem Betonfundament, darunter lagern
zusammengeräumte Marktstände. Markt in Baun ist jeden Samstag. Ich kann nicht
erkennen, ob wir im Zentrum oder am Dorfrand angekommen sind. Hält man Märkte
nicht in der Dorfmitte ab? Warum soll das hier anders sein? Aber ich sehe kaum Häuser. Hinten an der Straße bietet ein kleiner Stand Essbares an: Take Away! Süßer Reis in geflochtenen Päckchen, gebratener Reis im Bananenblatt, frittierte Ubichips. Heißer, dünner schwarzer Tee und lauwarme Limonaden. Links liegt die Schule. Weiter hinten mehrere Häuser unter mächtigen Bäumen. Ein
Dorf, eine Stadt, ein Park? Ein freier, geräumiger Platz. Weit entfernt
schattige Streifen an den Rändern. Nichts erinnert an die Enge Kupangs oder die Dichte der Dörfer anderswo in Indonesien. Weite, freie Sicht unter einem bewölkten
Himmel, der respektvoll seinen Regen zurückhält. Luft und Weite von allen
Seiten. Ich spüre die befreiende Atmosphäre, die diesen großen Platz einhüllt,
bis unter die Haut. Ich atme tief ein, unter diesem riesigen Himmel in Baun,
und fülle meine Lungen mit kühler, frischer Luft. Ich gehe auf die Häuser am
Horizont des Platzes zu. Ein einladender, freundlicher und friedlicher
Eindruck. Eine grüne Atmosphäre. Im Schatten, unter den Zweigen und Blättern
flirrt gefiltertes Sonnenlicht. Von überall wächst es mitten in den Ort hinein.
Nicht das üppig kräftige Grün des tropischen Westindonesiens. Ein silbrig
schimmerndes Grün. Ein sanftes, wohltuendes Licht beherrscht die Atmosphäre in
Baun, nicht die grelle Sonne, die die Savanne verbrennt. Silbrig-grün wie in
den Birkenhainen der heimischen Heidelandschaft. Ich fühle mich angenehm
berührt. Baun und Natur durchdringen sich.
Der Morgen ist inzwischen
fortgeschritten, doch es sind kaum Menschen unterwegs. Ich bemerke es sofort:
es gibt keine Autos. Keine knatternden, stinkenden Motorräder. Einige Bemos
parken am Markt, sonst nichts. Es ist Sonntag. Seit Wochen zum ersten Mal
wieder Stille, Ruhe und Idylle. Wie lange ist es her, seit ich mich so erlebt
habe. Nach dem Getriebe und der Hektik der großen Städte, Singapur, Jakarta,
Denpasar, Kupang. Auch der Monat in Bali war betriebsam, immer viele Menschen
und fließender Verkehr um mich herum. Baun ist die einsame Insel, auf der ein
getriebener Reisender Ruhe findet.
Orientierungslos und unschlüssig schlendere ich über
den leeren Platz. Ein junger Mann, der mit im Bemo saß, spricht mich an. Augustinus Tiran heißt mein Begleiter. Kurz Agus, sagt er. Einer den ich brauche und der sich meiner annimmt. Er will mir helfen, mich durch den Ort führen. Er lädt mich zu sich nach Hause ein, und da ich keine Pläne habe, nehme ich an. Plötzlich kommen auch andere. Die Kinder zuerst, dann einige Männer. Schnell wissen sie, was mich nach Baun geführt hat. Die Tracht der Atoin Meto, die Webtechnik und die Motive auf den Textilien. Agus erzählt mir von seiner Mutter, einer Weberin. Sie wird mir ihre Arbeit zeigen, verspricht er. Ich
genieße den Spaziergang durch das moderne Baun, das so verschlafen wirkt. Es
bleibt grün, aber das Grün ändert sich mit der Intensität des Sonnenlichts. Der
Ort liegt im Schatten der Stauden, Sträucher und Fruchtbäume der Hausgärten,
die jeden Hof umgeben. Es ist nicht weit zu Agus Haus, das mitten in einem
Garten steht. Mais, Gurken, Kokos- und Lontarpalmen erkenne ich sofort. Ein
kleines, rechteckiges, mit Wellblech gedecktes Haus auf einem Steinsockel. Die
Wände bestehen aus gespaltenen Bambuslatten. Links vom Wohnhaus dient ein rechteckiger Verschlag ohne Fenster als Küche.
Im Eingang des Wohnhauses steht
eine ältere Frau, die anscheinend schon von meiner Ankunft gehört hat, und auf
uns wartet. Es gibt nur ein Fenster. In der Wand gegenüber dem Eingang. Innen
stehen mehrere Sessel, Metallgestelle, deren Sitz und Lehne aus eng gewickelter
Plastikschnur bestehen. Zu beiden Seiten des Eingangs stehen Holzstühle. Zwei
kleine Tische ergänzen das Mobiliar. An den Wänden hängen bunte Kalenderblätter
mit Landschaften und Frauenportraits; chinesisches Konterfei. Der einzige Schmuck. Rechts vom Eingang geht es in einen weiteren, durch einen zweiteiligen Vorhang abgetrennten Raum. Hier leben Agus, seine Frau und seine Mutter. Sein Vater ist einigen Jahren
gestorben. Agus gehört zu den sechzig Prozent junger Indonesier, die arbeitslos
sind. Trotz eines SMA-Abschlusses. In Baun leben die meisten Atoin Meto von der
Landwirtschaft. Die Haupterwerbsquelle der Region. Kokospalme und Bananenstaude
tragen reiche Früchte, die täglich auf den lokalen Märkten angeboten werden.
Außerdem gibt es Maniok und Mais in der nassen Jahreszeit, wenn der Regen
reicht, ist auch etwas Trockenreisanbau möglich. Seit der Regentschaft von Raja
Hendrik Arnold Koroh werden Rinder gezüchtet; das hellbraune Balirind bildet
den Schwerpunkt der Viehzucht. Inzwischen importiert Amarasi Rinder. Agus und
seine Familie produzieren in ihrem Hausgarten was sie zum Leben benötigen. Rinder haben sie keine. Dazu sind sie zu arm. Nur Hühner, deren Eier sie gelegentlich essen, wenn sie sie finden, denn die Hühner leben im Freien und nächtigen auf den Bäumen. Agus findet keine Arbeit. Nicht in der Landwirtschaft und nicht in der Rinderzucht. Ich sitze im Empfangsraum des Hauses. In dem Zimmer,
in dem die Familie ihre Gäste empfängt, während Agus Frau in der Küche etwas zu
essen zubereitet.
Agus Mutter breitet eine Matte vor der Tür aus und spannt den Kettbaum ihres Gurtwebgeräts zwischen die
Türpfosten. Von rechts fällt Tageslicht auf ihren einfachen Arbeitsplatz und
das Gewebe. Ausreichend Licht für diese Arbeit, die gute Augen und geschickte
Hände voraussetzt. Sie stützt ihre Füße gegen die Pfosten und spannt die Kette
im Webgerät. Um ihren Rücken legt sie einen breiten Ledergürtel. Den Brustbaum
ihres Webgeräts bilden zwei mit ihrer flachen Seite zusammengelegte Hölzer,
zwischen denen die Kette fixiert ist. Die Enden sind geschnitzt und weisen
spitz nach außen. Um mir ihre Technik zu demonstrieren legt sie einen Eintrag
in die Kette ein und beginnt ihre Arbeit an einer Seitenbahn für eines der
Umschlagtücher der Männer. Tai muti, sagt Agus, heißt das fertige Gewebe, das aus einer weißen Mittelbahn und zwei rotbraunen, ikatgemusterten Seitenbahnen
besteht. Koroh nennt Agus das Vogelmotiv in den Rauten des Ikatstreifens. Vollständiger Kor kase, fremder Vogel, verbessert ihn seine Mutter. Kase bedeutet fremd, das weiß ich, bezeichnet alles, was nicht einheimisch, nicht meto ist. Doch welcher Vogel heißt Koroh?
Der Kor kase stellt die Alten dar, ergänzt sie noch. Ich frage nach, die Verstorbenen, die Ahnen. Lächelnd bejaht sie. Ich frage sie nicht, ob das
Vogelmotiv die Seele der Verstorbenen zeigt, obwohl mir die Frage auf der Zunge
liegt. Ich schweige, weil ich nichts suggerieren will. Ihr Lächeln irritiert
mich. Hat sie geahnt, was ich hören will? Sie ist eine alte Frau, die noch die
Niederländer erlebt hat. Stattdessen frage ich sie nach der Herkunft der
Baumwolle. Sie spinnt nicht selbst, sondern kauft ihr Garn auf dem Markt. Der
Anbau von Baumwolle lohnt sich nicht mehr. Seit Jahren gibt es eine Schnecke,
die die Baumwollsträucher schädigt. Auch die Maispflanzen sind bedroht. Das
Garn für die Ikatpartien färbt sie weiter selbst. Das muss so sein, das sei
Tradition, da gibt es keine Alternative. Dreißig Farbbäder. Ein Jahr lang,
behauptet sie. Die abgebundenen Ikatstränge legt sie fünf Tage in eine Beize
aus der Wurzelschale eines Baumes; Morinda citrifolia L., baukulu in Uab Meto. In der Beize verwendet sie außerdem Salz und zerstoßene Kemiri-Nüsse. Nach fünf Tagen
trocknet sie die Stränge an der Luft und wiederholt den Färbevorgang solange
bis der Rotton sie befriedigt. Die anderen Arbeiten sind weniger zeitintensiv.
Das Abbinden der Kette für einen Tai muti erfordert eine Woche. Das Abweben
schafft sie innerhalb eines Monats. Agus Mutter zeigt mir ein fertiges Gewebe,
den dreiteiligen, röhrenförmigen Rock der Frau. Tai koroh nennt sie den Rock, der sich von der Männerkleidung nur durch die fehlende weiße Mittelbahn unterscheidet.
Aber warum ist der Vogel auf dem Frauenrock kein fremder mehr? Gibt es etwa
einen männlichen korkase und einen weiblichen koroh? Ein Präfix, ko-, das differenziert, die erste Silbe; ein Wortstamm -roh. In vielen indonesischen Sprachen bedeutet roh, Geist oder Seele. Doch Vorsicht: Der Seelenbegriff ist ein europäisches Konstrukt, das mit den monotheistischen Religionen nach Indonesien kamen. Ich belasse es bei der Frage: Ist der Koroh ein Seelenvogel und deshalb fremd? Nicht mehr heimisch für die Lebenden. Unheimlich und fremd. Ikatgemusterte Kleidung begleitete die Verstorbenen früher ins Grab. Die zum Nitu wurden, zum "lebenden" Leichnahm. Nimmt man das Motiv beim Namen, dann wurde er in Vögel gewickelt zu Grabe getragen. Voodouglaube in Ostindonesien? Das ist nicht zu weit hergeholt. Maurice Lehnhard berichtet ähnliches aus Melanesien.
Koroh hieß auch die letzte Herrscherdynastie in Amarasi. Ist Koroh etwa ein Klanname? Oder gar ein Totem? Wer ist der Koroh-Vogel? So viele Fragen, die Agus und seine Mutter in Schwierigkeiten bringen. Zuletzt lächeln sie nur noch und schweigen.
Das Koroh-Motiv gehörte früher der herrschenden Klasse. Soviel ist sicher. Bei Androhung der Todesstrafe war es niemand anderem gestattet, Ikatmotive zu verwenden. Seit Amarasi eine Provinz Indonesiens ist, sind die Motive frei verfügbar. Jeder darf sie kopieren und verwenden. Jeder Atoin Meto trägt heute das Ornat, das früher für den Adel reserviert war. Ikatgemusterte Kleidung ist kein Privileg des Adels mehr. Dieser Information folgt meine erste Desillusionierung im Feld. Bildhaft entsteht ein Durcheinander von Formen, Motiven und Farben vor meinem inneren Auge. Ein verwirrendes Puzzle ikonographischer Möglichkeiten, das die individuelle Kreativität der Weberin noch nicht einmal berücksichtigt. Mich beschleichen Zweifel, zuerst noch leise, ob es überhaupt möglich ist, die Motive und Farbpräferenzen so zu ordnen, dass sie intraethnisch klassifikatorisch sind. Agus Mutter behandelt die Ikatmotive mit Respekt. Sie verwendet für die Ikatmotive nur Naturfarben, sagt sie, und einen komplizierten Färbeprozess; eine überlieferte Regel, die nicht gebrochen werden darf: Adat. Das rotbraune, synthetisch gefärbte Garn, das auf dem Markt angeboten wird, verwendet sie nur für andere farbige Streifen. Leider gibt es kaum noch einheimische Baumwolle. Sie kann einen feinen Faden spinnen, und würde nur diese für ihren Ikat verarbeiten. Nur eine so produzierte Kette ist die Heimat des Koroh, sagt sie. Dieser Vogel ist nicht modern. Ganz im Gegenteil. Er ist ein Emblem des Alten, der überlieferten Techniken und Methoden der Garn- und Textilproduktion. Ihr ist es gleichgültig, was das Motiv bedeutet. Was zählt ist, dass Koroh-Gewebe keine Alltagstextilien sind. Sie gehören zu den großen Feierlichkeiten der Lebenszyklusrituale: Geburt, Heirat und Tod. Der Koroh ist immer dabei.
Später zeigt mir Agus Mutter einen Gürtel mit zwei kräftig rot-schwarzen Ikatstreifen. Nebeneinander liegende Rauten vor einem scharlachrotem Hintergrund. Das Baumwollgarn und die Farbe für die Ikatmotive hat sie auf dem Markt gekauft, und das Garn in einem einzigen Farbbad selbst gefärbt. Dieser Gürtel ist ein hässliches Stück, dass die Atmosphäre in dem Moment vergiftet, als ihn Agus Mutter hervorholt, und mich in die Realität zurückholt. Eine Ware für den Markt, für den Touristen, den beide in mir sehen. Ich soll dieses hässliche Stück Tuch für einen astronomisch überhöhten Preis kaufen. Die Gewebe mit dem Koroh-Motiv sind unverkäuflich. Baun und meine Idealisierung zerstieben ins Niemandsland. Die Vorstellung, die sie für mich inszeniert haben, ist beendet. Von Anfang an stand das Ziel fest: Ich soll diesen Schal kaufen, zahlen und gehen.
Agus begleitet mich zurück zur Straße. Gemeinsam warten wir auf das Bemo zurück nach Kupang. Ich spreche einen alten Mann aus Baun an. Er will zum Markt nach Oepura. Er trägt einen dieser Tai muti mit dem Koroh. Über seine Bedeutung mag er nicht reden. Entschuldigend hebt er die Schultern und lächelt gewinnend. Über die linke Schulter hat er lose einen Gürtel gehängt, der dem gleicht, den ich gerade aus Verlegenheit gekauft habe. Ein weißes Hemd mit dunklem Nadelstreifen. Ein Regenschirm. Eine kleine Reisetasche. Seine vollständige Kleidung. Ich sehe diese modernen Gürtel nun häufig in Kupang. Bei Männern und bei Frauen: lose über einer Schulter hängend, um den Hals
geschlungen, auf dem Kopf einer Frau aufgerollt, um eine Last zu transportieren. Niemand befestigt damit Hüfttuch oder Rock auf der Hüfte. Noch während wir warten, kommen zwei junge Frauen mit ihren Kindern. Der Junge hat sich ein hölzernes Instrument unter den Arm geklemmt, das aussieht wie eine
kleine Gitarre. Im ersten Moment halte ich das Instrument für ein Kinderspielzeug.
Doch es ist eine reku, ein regionales Saiteninstrument, das zusammen mit mehreren unterschiedlich großen, eisernen Gongs, die schlicht besi, Eisen, heißen, zum Tanz aufspielt. Die Reku gibt den Ton, das Gongensemble den Rhythmus an.
Ich verabrede mich mit Agus für den nächsten Morgen in Kupang, habe aber schon jetzt das Gefühl, dass er nicht kommen wird. Agus
wartet, bis ich in ein Bemo gestiegen bin, und nach Kupang zurückfahre. Ich
sehe ihn noch kurz auf dem leeren Platz stehen, dann biegt das Bemo ab. Zuerst
tröpfelt es, dann versinkt die Welt in einem heftigen Niederschlag.
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