Das moderne Zeitalter des Ferntourismus mit seinem Phänomen des Massentourismus, der Urlauber bequem an jedes Ziel und in jede fremde Kultur weltweit befördert, sorgt gleichzeitig dafür, dass der Tourist so wenig Kontakt wie möglich mit der Fremde bekommt. Das war schon einmal anders, damals als die ersten Reisenden sich ihre Wege noch selbst bahnen mussten, oft unter erheblichen Entbehrungen. Was sie erlebten, hat sich tief in ihre Persönlichkeit eingegraben, und sie unwiderruflich verändert. Heutzutage findet selbst der Weltreisende oft nur seine eigenen Erwartungen, sodass er sich auch in der Fremde wie zu Hause fühlen kann. Der Ethnologe, wie der Reisende, der er ist, hinterfragt sich in der Bewegung. Seine Aufgabe besteht darin, sich kritisch mit sich selbst und seinen Wahrnehmungen auseinanderzusetzen. Der Tourist bewegt sich mit voyeuristischem Blick gedankenlos in der Fremde. Während der Tourist jemand ist, den es gewöhnlich nach einigen Wochen wieder nach Hause drängt, gehört der Reisende zu keinem Ort. Touristen wissen nicht, wo sie gewesen sind, vermutet deshalb Paul Theroux, Reisende wissen nicht, wohin sie fahren. Es reicht nicht aus, den Namen eines Ortes zu behalten, die Gerichte und Sehenswürdigkeiten aufzählen zu können. Es benötigt einen tieferen Blick in die Fremde, eine Empfindsamkeit für die Atmosphären des Gewöhnlichen im Leben der anderen. Den Reisenden zeichnet es aus, dass er sich auf ihn Zufallendes einlassen muss, da ihm die Strukturen des Tourismus fehlen. Unvertrautheit und Unwägbarkeit begleiten ihn in der Fremde auf Schritt und Tritt. Wie der Ethnologe ist er darauf angewiesen, die symbolischen Repräsentationen der fremden Kultur zu erlernen, wenn er sich in ihr angemessen bewegen will, um überhaupt etwas zu verstehen.
Nostalgie ist nicht länger ein Eskapismus, sondern die Gelegenheit, ein Gefühl wieder zu entdecken, das Heimat und Tradition zugleich ist. Vergewisserung von Wurzeln, Auge in Auge mit der Entfremdung. Landschaft ist ein Zugang. Begegnung auch. Fußreisen, tagelange Wanderungen durch fremde Kulturen, wie durch fremde Welten, führen in die Wahrnehmung der Welt ein, vermitteln eine Erfahrung, die dem Menschen die Initiative überlässt.
Ich bin meinem Leben viel gereist, doch die Erfahrungen meiner ersten Reise enthalten alles, was auf einer solchen erlebbar ist. Allein die Intensität der Empfindungen, die Fähigkeit, das kulturell Atmosphärische am eigen Leib zu spüren, immer besser zu verstehen, steigt mit der Dauer und der Länge einer Reise; und die Kompetenz im Loslassen des Vertrauten. Schichten statt Geschichten. Hubert Fichte behauptet in seinem Spätwerk sogar: Ich reise meinen Sätzen nach. Ich reise mir selbst nach. Die Erlebnisse und Erfahrungen einer Reise lagern sich als psychische Sedimente, als Repräsentationen, in der eigen Innenwelt ab. Die Helden antiker Mythen stiegen in die Unterwelt hinab, wo sie sich ihren Clowns und Dämonen stellen mussten. Archäologen planen Suchschnitte durch terrestrische Strukturen, gläubig wie Heinrich Schliemann, der so klug war, Homer beim Wort zunehmen. Die Suche in der eigenen Biographie legt übereinander gelagerte, psychisch sedimentierte Schichten frei, die von vergangenem Leben erzählen. Ich lege die Schichten einer bestimmten biographischen Phase frei, um ihre Geschichten nachzuerzählen. Ich reise meinen Erinnerungen nach und verdichte sie zu Sätzen.
Eine Reise ist eine Bewegung im Raum, Erinnerung eine Bewegung in der Zeit. Keine Erfahrung äußert nur das, was ein Ereignis, eine Landschaft, eine Begegnung oder einen Ort abbildet. Jede Erfahrung knüpft an frühere Erinnerungen an: Bilder, Vor-Bilder, Wege, Bewegungen. Deshalb sind meine Reisen für mich nicht wiederholbar. Sigmund Freud spricht vom inneren Ausland, das er durch die Analyse des Verdrängten erkunden will. Reisen wird zum Erinnern, und der Weg der Erinnerung fördert alles Mögliche aus unbewussten Tiefen. Keine Reise führt nur durch äußere Räume. Wer das glaubt, der irrt. Der Reisende begibt sich immer auch auf eine spirituelle Queste, gleichgültig, ob er das weiß oder nicht. Eine Reise hebt in ihm verborgene Schichten ans Licht, die in den Ablenkungen touristischer Aktivitäten zumeist übersehen werden, obwohl sie immer vorhanden sind. Sich bewusst werden erfordert Achtsamkeit, und diese wiederum genügend Muße zur Reflexion. Meine Reiseerzählungen wiederholen passiv die Etappen einer Reise, beschreiben sie aus der gegenwärtigen Rückschau. Ich folge damit Fichtes Reiseschreibung. Diese ist ein aktiver, gegenwärtiger Prozess, der die einzelnen Etappen im Hier und Jetzt vor dem Hintergrund der psychischen Befindlichkeit des Reisenden reflektiert. Sie ist autobiographisches Schreiben über ein Ereignis, das das »be-« als Rahmen der Reflexion nutzt. Über das Fremde angemessen zu schreiben ist fast unmöglich. Immer bleibt es Versuch. Gelebtes in das Kostüm der Sprache zu kleiden, fällt umso schwerer, je öffentlicher es stattfindet. Manches Mal sperrig, viel zu oft widerspenstig. Die erworbenen Erfahrungen neigen dazu, sich während des Schreibens der rückblickenden Vereindeutigung zu verweigern. Der retrospektive Blick ist Hervorbringung, kaum Nachahmung des einst Gewesenen. Die Befremdung durch die Fremde, das ausgrenzend Un-Heimliche – im Sinne von nie Heimat werden können – lässt sich nur in Begriffen der eigenen, bereits wieder vergangenen Struktur begegnen.
Bei dem Versuch, mich der Kultur der Atoin Meto angemessen zu nähern, wähle ich die Methode des Szenarios, ein dramatisches Gerüst einer chronologisch geordneten Abfolge von miteinander verketteten Ereignissen. Lose miteinander verbundene, szenische Skizzen sind in Literatur, Theater und Film bereits seit dem Mittelalter gebräuchlich. Mit Hilfe des Szenarios gliedern sich Handlungsabläufe in äußere Beobachtungen und ihre korrespondierenden, inneren Prozesse. Ein Szenario, wie ich es entwerfen werde,ist gleichzeitig kognitive Landkarte und erlebter Schauplatz, ein narrativer Entwurf: ein Theater subjektiver Möglichkeiten, das im Sinne Bertold Brechts belehrt und unterhält. Die subjektive Schreibung einer Kultur als Verkettung einzelner Akte. Gegenüber dem historischen Roman oder einer ethnologischen Monographie bietet das Szenario den Vorteil, dass es die Reflexion von der Doktrin befreit, sich die Freiheit nehmen kann, streng wissenschaftliche Methoden zu nutzen oder ihnen spielerisch auszuweichen. Ein Szenario kann es sich erlauben, respektlos subjektiv und fantasievoll narrativ zu sein. Was berichtet, was probierend erzählt wird, kann jederzeit durchbrochen und erörtert werden, Platz schaffen für Kommentar, Interpretation und Authentizität. Selbst fürs Fabulieren. Dabei verbinde ich gleichzeitig Reiseschreibung und Kulturbeschreibung mit autobiographischem Schreiben. Das Geschehen, das ich in diesem Szenario auferstehen lassen will, die Protagonisten, Akteure und Statisten, sind noch lange nicht Vergangenheit. Einem Film mit emotional aufgeladenen Bildern vergleichbar, der auf meiner inneren Leinwand abläuft, wann immer ich es will; ein Film, der einzelne Szenen lose aneinanderreiht und schließlich doch ein zusammenhängendes Bild ergibt; ein Gobelin, in dem die einzelnen Fäden ein Muster ergeben; ein Mosaik, dessen Kombination farbiger Steinchen die einzelnen Szenen sind; ein Puzzle, bei dem ich über die Anordnung der einzelnen Teile entscheide. Eine narrative Melange, hybrid im Stil und inhaltlich vielseitig, die von einer Kultur und ihren Protagonisten handelt, die in den Wirbeln des kulturellen Wandels am Ende des 20. Jahrhunderts geraten sind, und die versuchen, zu überleben.
Wie Reisende, suchen auch Ethnologen etwas, dass nicht zu finden ist. Deshalb müssen sie es deutend konstruieren. In meiner Konstruktion verbinden sich Feldforschungsdaten mit frühkindlichen Prägungen, mannigfaltigen, späteren Lebenserfahrungen und Gelerntem sowie mit der theoretisch-analytischen Weltanschauung meiner Bildung, einmal ganz abgesehen davon, welche Ängste, Wünsche und Hoffnungen sich noch unter diesen Stoff mischen, der sich nicht immer von meinen Träumen trennen lässt. In der ersten Szene des vierten Akts seines Dramas Der Sturm bringt William Shakespeare dieses Dilemma auf den Punkt:
Wir sind der Stoff, aus dem die Träume sind;
und unser
kleines Leben ist
von einem großen Schlaf umringt.
Eine solche Melange wirkt wie ein persönlicher Mythos, ein unbewusstes Repertoire, aus dem ich schöpfe, wenn es darum geht, Beobachtungen und Erfahrungen retrospektiv bewusster wahrzunehmen und zu bewerten. Mein Er-Fahren wird zu einem Er-Reisen: eine Reise=Schreibung. Wirklichkeit kennt keine Sprache, in der sie beschrieben werden möchte. Jeder Text ist auch etwas Gemachtes. Fiktives!
Über Kupang entladen sich heftige Gewitter. Bis an den Horizont türmen sich schwarze Wolkenberge über dem Meer auf. Bäche fließen durch die Straßen, in denen Kinder planschen, obwohl sie allerhand Unrat mit sich führen. Ich sehe zu, wie sich die Wolken über der Stadt und den Menschen entladen. Es ist schwül und heiß. Seit über zwei Monaten lebe ich in Indonesien, und glaubte, mich an das tropische Klima gewöhnt zu haben. Ich fühlte mich akklimatisiert. Doch jetzt setzt es mir wieder zu. Ein Gefühl, wie in den ersten Tagen in den Tropen. Ich schwitze wieder, mehr als in den letzten Wochen. Die Luft ist mit Feuchtigkeit übersättig und nimmt nichts mehr auf. Die Erde schwitzt den Regen wieder aus und legt ihn mir nass und schwer auf die Haut. Die kleinsten Aktivitäten strengen mich an. Als der Regen nachlässt, gehe ich hinaus, und schlendere durch Kupangs Straßen. Zwischen den westlich gekleideten Passanten sehe ich überall Männer in der farbigen traditionellen Kleidung der Atoin Meto. Tais nennen sie es hier, das von den Hüften bis auf die Wade fallende Umschlagtuch. Darüber tragen sie ein Hemd. Westlicher Stil. Ein Gespräch ergibt sich nicht. Ich erkenne die von Rottönen dominierten, farbig gestreiften Seitenbahnen aus Amanuban. Zwei Männer tragen ihr Umschlagtuch um die Hüften gebunden, sodass es ihnen nur bis zum Knie reicht. Die Mittelbahn der Kleidung verzieren alternierende Musterblöcke; in Kettentechnik realisiert. Schwarzgelbe Rautenmuster und farbige Kettstreifenbündel. Wieder dominieren die roten Streifen auf den Seitenbahnen. Ein zweites dieser großen, rechteckigen Tücher tragen beide um die Hüften gerollt. Eine dicke Rolle Tuch. Weiße Hemden, eine kleine verzierte Tasche über der Schulter rundet ihre Kleidung ab. Sie unterscheiden sich von den anderen Wartenden. Ruhig, fast eingeschüchtert wirken sie, als ob die fremde Umgebung sie verunsichert. Sie verbergen sich hinter einer Hecke aus Tuch, auf denen die Rauten mit ihren Haken mich plötzlich an Stacheldraht erinnern. Die Hektik und der Lärm der Passanten und zahlreicher an- und abfahrender Busse, der sie umgibt, halten sie von sich fern, nehmen sie kaum wahr. Konzentriert stehen sie in meiner Nähe. Greifbar. Spürbar. Ich fühle mich als ein Opfer meiner eigenen Idealisierung. Es gelingt mir nicht, Blickkontakt zu ihnen aufzunehmen. Ich traue mich nicht, sie trotzdem anzusprechen. Einfach hingehen, sie begrüßen. Ihre Kleidung bewundern. Ihre ruhige Konzentration, ihre respektgebietende, stoische Haltung hindert mich. Es ist, als ob sie hinter einem Schild stehen: Bitte nicht stören! Die beiden Männer aus Amanuban warten auf den Bus nach Soë. Sie sind festlich gekleidet und zu Besuch in der Metropole. In welches Dorf kehren sie zurück?
Es gibt kaum Texte über
die kulturelle Situation in Ostindonesien, die sich nicht mit der ethnischen
Diversität der östlichen Sundainseln, im Vielvölkerstaat Indonesien,
auseinandersetzen. Der niederländische Anthropologe H.J.T. Bijlmer, der in den
zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts physisch-anthropologische Vermessungen an
der Bevölkerung Timors durchführte, fühlte sich seiner Aufgabe nicht gewachsen.
Seine Untersuchung demaskiert vor allem den Unsinn solcher wissenschaftlichen
Unternehmen. In Westtimor gibt es keinen eindeutigen Phänotypus, der sich einer
Rasse zuordnen lässt, wie es sich Wissenschaftler wie Blijmer oder Virchow vorgestellt haben. Ihr Ziel, den Homo sapiens aufgrund seiner körperlich
unterschiedlichen Merkmale in einzelne Rassen zu gliedern, sind gescheitert,
denn sie sind lediglich das Resultat einer Anpassung an verschiedene Habitate,
an Landschaft, Klima und Ernährung. Behauptungen, es gibt so etwas wie eine
Rasse, dient ihren Verfechtern nur dazu, sich selbst narzisstisch aufzuwerten. Wenn überhaupt eine Rasse, heißt sie Homo sapiens, obwohl es mittlerweile unmöglich ist, sie vom Homo sapiens neandertalensis abzugrenzen.
In Kupang sehe ich Menschen, deren Gestalt, deren Physiognomie, sich ähnelt
oder unterscheidet, je nachdem, in welchem klimatischen, geographischen und
sozialen Milieu sie aufgewachsen sind und leben. Vielfalt von Physiognomie und Gestalt
sind Allgegenwart. Die Stadt ist ein Schmelztiegel unterschiedlichster
Bevölkerungen. Ethnien aus den verschiedensten Gegenden des Archipels treffen hier
aufeinander. Melanesisch aussehende Menschen, die Einheimischen. Malaien,
Chinesen, Europäer und Nachkommen von Afrikanern. Diese kamen einst mit den
portugiesischen Konquistadoren auf die Insel. Und das ganze Spektrum von Typen
dazwischen. Kaum jemand sieht aus wie sein Nachbar. Das Spektrum der Hautfarben
geht von hellen, fast weißen Tönen bis zu einem tiefen Braun wie man es in
Afrika oder Australien findet. Das Haar bewegt sich zwischen glattem
Tiefschwarz, in allen denkbaren Graden der Kräuselung, erreicht Farbtöne, die
eher Braun als Schwarz, schon gar nicht tiefschwarz sind. Auch die Körpergrößen
variieren erheblich. Auf der einen Seite fast kleinwüchsige Menschen, daneben
solche, die aufgrund ihrer Größe in jeder Basketballmannschaft willkommen sind.
Nur übergewichtige Menschen trifft man in Kupang selten. Allenfalls den einen
oder anderen Chinesen, dem sein Handel zu Reichtum und Wohlstand verholfen hat,
und den er fettgepolstert zur Schau stellt.
Der Versuch, den typischen Timoresen, den Bewohner Kupangs, zu
charakterisieren, bleibt vergeblich. Die Beschreibung von Merkmalen, ein
Vergleich mit anderen indonesischen Regionen oder Inseln, scheitert schnell.
Eine dunklere Hautfarbe etwa, ein im Vergleich welligeres Haar, ein breiterer
Gesichtsschädel oder wulstigere Lippen, alles Beschreibungen in der Literatur,
bringen den Kupangbesucher mit der vorgefundenen Realität in Konflikt. Rassisch
gibt es den Timoreezen nicht, nur ethnisch. Nur sprachlich oder kulturell.
Vermeintlich objektive, körperliche Merkmale sind nicht charakteristisch. Ich
bleibe dabei: Den Timoresen gibt es nicht. Auch nicht den idealen Kupangnesen.
Oder sonst einen Nesen. Schon die Verniedlichung -nese oder -ese ist ethnozentristisch und abwertend. Weder ist er etwas größer als der
durchschnittliche Indonesier, auch nicht immer dunkler, etwas weniger
schwarzhaarig, hat nicht unbedingt ein breiteres Gesicht oder wulstigere
Lippen, eine etwas flachere Nase und etwas mehr Fettgewebe. In vielfältiger
Variation kommen alle diese Merkmale in immer wieder neuer Mischung vor. Sie
sind verantwortlich dafür, dass ich in Kupang, und später in ganz Westtimor,
auf hellhäutige Melanesier, dunkelbraune Chinesen, westindonesische Typen mit gewelltem Haar und auf Menschen treffe, die unter Arabern, Nordafrikanern oder
Schwarzafrikanern oder gar australischen Aborigines nicht auffallen. Ich
begegne einer bunten Gemeinschaft, die lautstark die Straßen bevölkert. Kann eine Integration gelungener sein?
Ostindonesien gilt als ein jahrtausendealtes, kulturelles Durchgangsgebiet nicht nur intrainsularer, sondern internationaler Migration. In Kupangs Straßen realisiert sich Multi-Kulti im
Wortsinn. Denn sie waren alle hier. Im Verlauf der Jahrtausende. Die Träger der
austronesischen Migrationen, die Araber, Chinesen und Inder, Papua und
australische Aborigines. Schließlich auch die Europäer. Zuerst die Überlebenden
der magellanschen Weltumseglung. Dann die Engländer, die im Westen der Insel,
in Kupang, ein Fort hatten. Nach ihnen die Niederländer und Portugiesen. Und
mit den letzten die von ihnen als Sklaven verschleppten Afrikaner. Die Ankunft
der Schwarzen Portugiesen, der Kase metan oder Topasses, den Nachkommen von Portugiesen und Einheimischen, füllt in Mythologie und Geschichte der Atoin Meto ein eigenes Kapitel. Und sie sind immer noch hier. Aussehen und Name verraten
ihre Herkunft bis heute. Sie alle haben im Gesicht und Körper der rezenten
Bevölkerung Timors tiefe Spuren hinterlassen.
Nachmittags habe ich eine Verabredung mit zwei Wissenschaftlern im Wissenschaftszentrum der Universitas Nusa Cendana im Vorort Penfui. Ich will mit ihnen mein Forschungsvorhaben diskutieren und die mögliche Unterstützung ausloten. Ich bin vorbereitet, und breche in gespannter Stimmung zum Kampus Baru auf. Auf dem weitläufigen, schattenlosen Gelände verliere ich die Orientierung. Alle Gebäude sind modern und sehen gleich aus. Ich finde das Zentrum nicht. Von Schweiß überströmt irre ich fragend über dem Kampus. Die Studenten, die auch nicht Bescheid wissen, geben das nicht zu. Sie schicken mich von einem falschen Gebäude zum nächsten. Ich verlaufe mich völlig, fühle mich auf dem hügeligen, schattenlosen Gelände hilflos und verloren. Bis ich einen Dozenten treffe, der sich auskennt, und weiß, wohin ich will. Er bringt mich auf seinem Moped ans andere Ende des Kampus und setzt mich vor dem richtigen Gebäude ab. Durchgeschwitzt, genervt, aber pünktlich. Niemand erwartet mich. Keiner der Anwesenden weiß etwas von meinem Kommen. Dr. Agus Benu, der Dekan, mit dem ich die Verabredung gestern telefonisch abgesprochen habe, ist außer Haus. Es heißt, er kommt bald zurück. Wo er ist, weiß niemand. Vielleicht auf dem Kampus Lama. Von der jam karet, der Gummizeit, oder dem berüchtigten omong kosong, dem leeren Gerede, weiß ich noch nichts. Ich bin naiv und in meinen Erwartungen ganz deutsch. Nach der anstrengenden Suche fühle ich mich in einer Sackgasse. Ganz nebenbei erfahre ich, dass Hendrik Ataupah seine Promotion in Jakarta noch nicht abgeschlossen hat. Er wird nicht so schnell zurückerwartet. Ich bin frustriert. Mein Sponsor interessiert sich nicht für mich, versetzt mich zum zweiten Mal. Ich habe mehr erwartet. Aber auch das ist Indonesien: unklare Äußerungen, gedehnte Zeit, nicht erst gemeinte Versprechen. Die kulturelle Etikette ist für denjenigen voller Fallstricke, der es nicht versteht, zwischen den Zeilen eines interkulturellen Diskurses zu lesen. Ich muss noch vieles lernen. Alle belächeln mich, weil ich meine Wege zu Fuß oder mit dem Bemo mache. Niemand versteht, dass ich weder Auto noch Chauffeur habe. In ihrer sozialen Hierarchie bin ich schließlich ein Herr, ein Tuan, aus dem Wirtschaftswunderland. Im besten Fall gewährt man mir einen Spleen. Finanzielle Gründe kann sich beim besten Willen niemand vorstellen.
Jegliche unautorisierte gewerbliche Nutzung ist ohne meine ausdrückliche Zustimmung untersagt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen