Freitag, 28. Juli 2023

Ein Totenritual in Leti


Die nachfolgenden Texte entstanden in der Nacht vom 25. Oktober 1991 während der drei Tage andauernden Begräbnisfeierlichkeiten in Leti, Mauleum (Ostamanuban). Felipus Lanu`, der Schwiegervater von Abraham A. Sakan war gestorben. Ohne Absprache mit der Trauergemeinde nahm mich Abraham mit nach Leti, was nicht allen Anwesenden gefiel, sodass ich von einigen Phasen des Rituals ausgeschlossen wurde.
Die von mir in Leti dokumentierten Reden sind dennoch aufschlussreich. Im Gegensatz zu den weitaus elaborierteren Kuan-Fatu-Texten stellen sie eine degenerierte Form der rituellen Rede dar, die ich in meiner grundlegenden Untersuchung der Tonis-Dichtungen in Amanuban, Die Kuan-Fatu-Chronik, als Pseudo-Tonis beschrieben habe.
Pseudo-Tonis-Texte unterscheiden sich von Tonis-Dichtungen durch die größere Einfachheit der Syntax und des verwendeten rituellen Registers. Grammatisch-parallele Wortpaare werden unvollständig eingesetzt oder semantisch an die moderne oder alltagssprachliche Verwendung angepasst. Pseudo-Tonis zeichnet sich auch durch das Fehlen des die Rede legitimierenden Chorschlusses aus.

Ich kam an späten Nachmittag im Gehöft der Lanu` in Leti an. Der verstorbene Felipus Lanu`, einer der Honoratioren des Weilers, lag, in mehrere lagen ikatgemusterte Textilien eingehüllt, unter dem großen Lopo des Hofes. An beiden Seiten seines aufgebahrten Leichnams saßen trauernde Verwandte, die seinen Übergang in eine andere Existenz begleiteten.
Nach Einbruch der Dunkelheit versammelten sich agnat und affinal verwandte Männer am Lopo, Karbidlampen wurden entzündet und Gespräche geführt. Erst später am Abend begannen die Sprecher der verschiedenen sozialen Gruppen damit, die unten dokumentieren Reden zu halten.